Die PRESSE, 2004-05-12
von GUDULA WALTERSKIRCHEN
In der "Stadt des Kindes", dem ehemaligen Kinderheim in Wien, wohnen nun tschetschenische Flüchtlingsfamilien.
Angewitterte Fenster, mit Graffitis besprühte Betonwände, aus den Bodenplatten sprießendes frisches Gras. Auf den ersten Blick wirkt die "Stadt des Kindes", das ehemalige Kinderheim am Mühlberg in Wien-Penzing, verwahrlost und verlassen. Betritt man das Gebäude, hört man Stimmen, Geschirrklappern. Im 1. Stock brennt Licht, in einem Saal ist eben das Frühstück im Gange. Alles wirkt provisorisch: Küche, Kaffeeautomat, Heurigenbänke und -tische. Eine junge Frau in der Uniform des Arbeiter-Samariter-Bundes kocht Wasser. Das brauchen die jungen Mütter für die Baby-Fläschchen.
Einige Türen weiter ordiniert der Arzt. Aisha hat Halsweh, sie lächelt tapfer. Heute hat sie Geburtstag, zwölf Jahre wird sie alt. Und sie hat schon einiges hinter sich. Ihr Vater Hamid erzählt, dass sie in Tschetschenien in einem Lager waren, das beschossen wurde. Seine Frau habe deshalb, im vierten Monat schwanger, ihr Kind verloren. Hamid ist 46 Jahre alt, sieht aber wie 60 aus. Er sei Wirtschaftsprofessor an der Universität in Grosny gewesen, sagt er. Sein derzeitiges Quartier gefällt ihm gut. "Es wird alles in Ordnung kommen."
Elima ist 14 und hat sich mit Aisha angefreundet. Sie ist mit ihren Eltern und ihrer kleinen Schwester hier. Sie will Deutsch lernen, ab Freitag beginnt ein Deutschkurs im Lager. Und später, meint sie lachend, geht sie vielleicht nach England.
Betrieben wird das Lager vom Arbeiter-Samariter-Bund Wien. "Es ist bereits das dritte Notquartier, das wir errichtet haben", sagt Landessekretär Oliver Löhlein. Maximal 150 Personen kann man hier unterbringen.
Das Lager ist aber nur eine Übergangslösung, bis Juli ist der Betrieb geplant. Die Tschetschenen haben sich schon ganz gut eingerichtet: Es gibt Waschmaschinen, in den Stiegenhäusern wird die Wäsche getrocknet, sogar einen eigenen Gebetsraum gibt es. Die Kinder spielen auf dem angrenzenden Fußballplatz. "Es ist notwendig, dass man Menschen während des Asylverfahrens eine würdige Unterkunft bietet", so Löhlein. Dann müsste man sich auch nicht sorgen, dass sie während dieser Zeit untertauchen. Auf der anderen Straßenseite stehen schmucke Einfamilienhäuser. Ein älterer Herr holt seine Morgenzeitung. Natürlich habe er sich Sorgen gemacht, man wolle keine Zustände wie in Traiskirchen. Doch er hat seine Meinung geändert. "Es ist alles ruhig." Früher, als noch die "schwierigen" Jugendlichen aus dem Heim Krawall geschlagen hätten, sei es ärger gewesen.