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Du großes altes Haus (1)


Blindenschule

Du großes altes Haus,

in dem ich meine Kindheit verbrachte, dich sehe ich heute durchs Fenster meiner neuen Wohnung meist von außen, und doch...nun, ich geb's zu, ist der Blick auf dich immer wieder ein Blick in meine Kindheit und einer in eine heute längst vergangene Welt. Ich erinnere mich an dich, als es fast gelungen schien, aus dir eine Ruine zu machen; mit deinen hohlen Fensterrahmen ohne Glas, dem aufgerissenen Innenhof, den abgeschnittenen Heizkörpern, so als wollte man von dir nur dein Skelett übriglassen. Und doch konntest du uns schützen, konntest in der Wüstenei der damaligen Zeit Heim sein, du gewährtest uns Schutz.

Die Menschen damals, soeben der Hölle des Krieges entronnen, hatten den Mut, den Willen und die Kraft, sich wieder zu erheben und haben es auch getan. Und wie! In all der Not, bei aller Einfachheit des Daseins, waren sie in der Lage, dir Schritt für Schritt deine alte Würde wiederzugeben. Deine Bewohner arbeiteten freiwillig über lange Zeit viele Wochenstunden, damit Gang und Dachboden, Keller und Dach ihren Zweck erfüllen konnten. Es gab damals noch keine Verweigerer, alle halfen sie, den Hof von Schutt und Gerümpel zu befreien, die Wasserbereitung wieder in Gang zu bringen, Kanalisation und Stromzufuhr in Ordnung zu bringen. Unermüdlich planten und lenkten die Frauen und Männer der ersten Stunde in Zusammenarbeit mit dem Verwalter der Anlage, Herrn Lichtenstein, diese Aktivitäten, legten Hand an, ebneten die schwierigen Verwaltungsverhältnisse mit Behörden und den sowjetischen Organen mit einer Selbstlosigkeit, zu der der heutige Mensch in der Regel nicht mehr in der Lage ist.

Ich sehe noch vor mir die Männer in härtester Arbeit Künetten durch deinen verwüsteten Hof ziehen, sehe vor mir unsere Mütter, wie sie die ungeheuren Mengen Schutt und Gerümpel entfernen, und dir, mein altes Haus, mit ihrer Aufopferung wieder ein Gesicht zu geben. Herr Schieffer war jener Gärtner, dem wir den wunderbaren Park verdanken. Er pflanzte auf dem geschundenen ehemaligen Kasernenhof, auf dem vorher noch Schützengräben einzuebnen waren, Bäume und Sträucher und legte einen herrlichen Alpengarten an, der zum Teil bis heute existiert, und an dessen Schöpfer sich nur mehr wenige erinnern. Die Not verband all diese Menschen in der Gewißheit, daß eine Gemeinschaft, sich den Umständen beugend, mit Disziplin und Ausdauer zum Erfolg kommt. Diese Auffassung machte sogar das Entstehen eines Zentrums der Kultur möglich: Das "Franz-Lehar-Theater". Was für eine Leistung!

In deinen Mauern durften wir Kinder dem Leben entgegengehen; und wir hatten eine schöne, sehr schöne Kindheit! Unsere Swoboda-Hilde organisierte verschiedene Gruppen, bei denen wir, aber auch viele Kinder und Jugendliche aus der Umgebung waren: für Basteln, in der Herr Haas uns sein Können und Wissen weitergab, gemeinsames Wandern, Musizieren. (Ich erinnere mich gerne an die Wandergitarre, mit der Hilde uns begleitete und auf der ich meine ersten Übungen machte) Daraus entwickelte sich die "New Westend Combo", die später ein Teil der "Swing-Boys" wurde, welche zwanzig Jahre lang zu allen größeren Purkersdorfer Veranstaltungen die Musik beitrugen. Wir spielten Volleyball und gehörten nach einiger Zeit zu einer vom Gegner sehr respektierten Mannschaft in unserer Klasse. Ich glaube mich zu erinnern, daß wir sogar Meister wurden. Ebenso erfolgreich war die Tischtennismannschaft: unser technisches Niveau war damals in unserer Klasse vorbildlich. Aus diesen Anfängen heraus wuchsen später Purkersdorfer Tischtennismeister. Wir haben diesen Sport den Kindern vermittelt und einer meiner Neffen spielt heute in der obersten Liga Österreichs. Wir unternahmen Radfahrten zu verschiedenen Treffen am Peilstein, in Hainfeld u.a. - Unvergeßliche Eindrücke fürs ganze Leben.

Ringelspiel

Eine Riesensensation war das "Ringelspiel". Die Lehrlinge der Voith-Werke in St. Pölten (damals ein USIA-Betrieb), hatten es unentgeltlich gebaut, und an jenem Sommertag im Jahre 1949, an dem es übergeben wurde, war für uns Weihnacht. Natürlich konnten wir Jungen damals nicht abschätzen, wie schwierig es war, vier Jahre nach dem Krieg so etwas Außerordentliches zu schaffen, doch sehe ich manchmal mit Rührung, wie über fünfzig Jahre später die heutigen Kinder sich ebenso darüber freuen. Die Sprunganlage, der Volleyballplatz (beide mußten später Parkplätzen weichen), waren Draufgaben, um die wir beneidet wurden und viele unserer Sport - und Spielkollegen aus der Umgebung in deinen Park lockten. Jedenfalls wurdest du, einst Kaserne, ein schönes, altes Haus mit freundlichem Gesicht.

Ich möchte endlich etwas tun, was schon lange fällig ist: Dir, liebe Hilde, von Herzen danken für alle Mühe, Obsorge und Umsicht, mit der Du das alles möglich gemacht hast. Ich hoffe, daß dieses "Dankeschön", obwohl es sehr spät kommt, von Dir angenommen wird.

Dies und vieles mehr noch, mein gutes Haus, hast du gesehen, hast unsere Kindheit und Jugend erlebt und gehst mit uns langsam ins Alter. So wird es mit den Kindern und deren Kinder sein. Immer noch wirst du ihnen, wie es damals war, Schutz und Heimat sein. Eines fürchte ich: Werden die Jungen noch einmal eine solche Kindheit erleben dürfen, wie wir sie hatten? Wird sich wieder eine junge Frau, ganz ohne großen Dank zu erwarten, sich ihrer annehmen? Gibt es heute noch Menschen, die aus innerem Antrieb, aus Liebe zur Jugend, aus Solidarität zur Gemeinschaft und deren guter Entwicklung diese Mühen auf sich nehmen? Ich glaube es zwar nicht, doch hoffe ich: Einmal war es so schön. Ich danke!

Otmar Konwalinka Purkersdorf, am 1. Juli 2002

Lieber Otmar! (Teil 2)

Blindenschule

Das Haus auf einem Gemälde aus dem Jahr 1834


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