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Erholungsraum Wienerwald


Univ. Prof. Kurt Zukrigl

Seit in der Biedermeierzeit die Erholung im Wald in Mode gekommen ist, zunächst vorwiegend in Form der Sommerfrische, hat die Bedeutung des Wienerwaldes als Erholungsraum, besonders für die Bevölkerung von Wien, ständig zugenommen. Der Wienerwald trägt zweifellos wesentlich zur hohen Lebensqualität in Wien bei. Einerseits wirkt er als Klimaregulator und Luftverbesserer, indem kühle, frische Luft in die aufgeheizte Stadt strömt, andererseits bietet das leicht erreichbare große Waldgebiet viele Möglichkeiten für Erholung, Naturbeobachtung und vielfältige Freizeitaktivitäten. Ähnliches wie für Wien gilt natürlich auch für die anderen Wienerwaldgemeinden.

Freilich haben sich die Ansprüche an den Erholungswald im letzten Jahrhundert stark verändert. Ich erinnere mich noch gut an die überfüllten Straßenbahnen bei den Endstationen an Sonntagen nach dem Krieg. Die vorwiegende Aktivität war das Wandern, oft von einer Straßenbahn - Endstation zu einer anderen, ohne dass andere Einrichtungen als Wegmarkierungen und hie und da Gasthäuser oder eine Liegewiese benötigt wurden. Heute sind eher die Straßen überfüllt - weit mehr als die Hälfte der Waldbesucher kommt mit dem Auto - und neue Tätigkeiten haben sich verbreitet, wie Radfahren, Joggen und Reiten. Bei der ersten Waldbesucherbefragung im Wienerwald durch das Waldbauinstitut der BOKU 1969 war Radfahren überhaupt noch kein Thema. Bei den Umfragen des Instituts für Sozioökonomik der Forst- und Holzwirtschaft zwischen 1987 und 1998 stieg der Anteil der deklarierten Radfahrer im Wald von 4 auf 45 %, wobei der letztere Wert allerdings wohl eher einem Wunsch der Befragten als der Realität entspricht. Ähnlich verhielt es sich mit Joggen und Reiten. Deutlich ist auch ein vermehrtes Verlangen nach Informationen über Natur und Forstwirtschaft und größere Teile der Bevölkerung besitzen bereits mehr Wissen über ökologische und wirtschaftliche Zusammenhänge.

War früher die Erholung im nahegelegenen Wald für die Bevölkerung besonders wichtig, weil sich viele weitere Reisen nicht leisten konnten, so bietet heute die Mobilität durch das Auto die Möglichkeit, kurzfristig, auch noch nach Feierabend, den Wald aufzusuchen oder auch weiter entfernte Waldteile zu besuchen. Das Naherholungsgebiet hat sich ausgedehnt.

Erst in den 60er Jahren begann man, die Erholung im Wald wissenschaftlich zu untersuchen, gewisse Waldteile mit besonderen Einrichtungen für die Besucher auszugestalten, aber auch die Probleme mit anderen Nutzergruppen des Waldes, besonders Forstwirtschaft und Jagd, zu thematisieren.

Erholung ist ein subjektiver Begriff. Sie umfasst die reine Regeneration, aber auch einfach Abwechslung von alltäglichen Verhaltensmustern und Zwängen. Sie hat eine körperliche und eine seelische Komponente, die voneinander nicht zu trennen sind. Der Ausgleich zur vorwiegend bewegungsarmen Lebensweise des heutigen Menschen durch körperliche Aktivität verbindet sich bei der Walderholung mit den seelischen Eindrücken von Ruhe, Naturgenuss und der Freiheit, sich nach Belieben im Gelände zu bewegen, was nur im Wald und im alpinen Urland möglich ist, wenn auch die meisten nicht wirklich davon Gebrauch machen sondern sich auf die Wege beschränken. Als die Erholungseignung eines Waldgebietes bestimmend, werden häufig folgende Eigenschaften genannt:

Eine bedeutende Größe ist im Wienerwald optimal gegeben, so dass sich genügend ungestörte Bereiche finden, wenn er auch durch zahlreiche Siedlungen, Straßen, Autobahnen und Hochspannungsleitungen zerschnitten ist. Die sogenannten Erholungseinrichtungen können sich, abgesehen von markierten Wegen und einzelnen Bänken, weitgehend auf die am stärksten frequentierten Waldteile beschränken und sind dort auh etwa vom Forstamt der Stadt Wien geschaffen worden. Eine "Möblierung" des Waldes wäre unnötig.

Vielfalt ergibt sich einmal aus den Geländeformen, dann aus verschieden alten und verschieden aufgebauten, aus verschiedenen Baumarten bestehenden Beständen, die unter-schiedliche Formen und Farben, verschiedene Grüntöne, ein Spiel von Licht und Schatten, Kontraste von Hell und Dunkel bewirken, sowie die Gliederung des Waldes durch Frei-flächen, besonders Wiesen, und die dadurch entstehenden Ränder, die besonders reizvoll für die Besucher sind. Die Vielfalt ist demnach im Kalkwienerwald größer als im Flyschgebiet.

Die für den Wienerwald so typischen, nahezu reinen, hallenartigen Buchenwälder, ein Produkt der forstlichen Schirmschlagwirtschaft, wären nach diesen Grundsätzen nicht ideal für die Erholung. Sie vermitteln aber einen erhabenen Eindruck von Säulenhallen, erlauben tiefe Einblicke, haben besonders an heißen Tagen ein angenehmes Klima und, vor allem, sie entsprechen dem gewohnten Bild des Wienerwaldes. Der Waldbesucher wünscht Kontinuität, will den Wald so erhalten sehen, wie er ihn gewohnt ist und er seinem Heimatbild entspricht.

Eine naturnahe, nicht großflächig arbeitende Forstwirtschaft kann die Vielfalt erhöhen, indem sie verschiedene Baumarten fördert und häufig wechselnde Bestandesbilder und auch kleinere Freiflächen schafft. Die Mehrheit der Waldbesucher wünscht sich sogar einen gepflegten, aufgeräumten Wald. Wo eine solche Frage ausdrücklich gestellt wurde, auch 1969 im Wienerwald, waren die Waldbesucher in der Regel mit der Waldbewirtschaftung einverstanden, nur 5 - 9 % empfanden sie als störend. Ein kombinierter Erholungs- und Wirtschaftswald wurde von den meisten gewünscht. In letzter Zeit ist die Einstellung der Bevölkerung zur Forstwirtschaft etwas kritischer geworden. 1998 empfanden schon 17 % (in diesem Fall im hinteren Wienerwald) die Forstwirtschaft als störend. Manche sehen jede Nutzung als Baummord und möchten nur abgestorbene oder kranke Bäume entnommen sehen, bedenken aber nicht, dass man daraus kein Nutzholz gewinnen kann.

Der Ertrag der Forstwirtschaft, wenn er auch im Wienerwald nicht sehr hoch ist, ermöglicht, dass sich der Wald selbst erhält und die Erholungswirkung, abgesehen von den intensiv erschlossenen Gebieten, weitgehend kostenlos bereitgestellt werden kann.

Immer größer wird aber auch die Zahl der naturbewussten Wanderer, die einen möglichst naturbelassenen Waldzustand wünschen, wie er vom durchschnittlichen Besucher eher als unordentlich empfunden wird. Ihnen kann und soll durch das Belassen alter, auch absterbender Bäume, wo sie keine Gefährdung darstellen, und von liegendem Totholz, von Altholzzellen sowie durch die verstärkte Ausscheidung von Naturwaldreservaten, in denen sich der Wald von nun an völlig natürlich entwickeln kann, Rechnung getragen werden, Maßnahmen, die auch ein Erfordernis des Naturschutzes sind, um allen waldbewohnenden Organismen Lebensraum zu bieten.

Bei Befragungen in den Jahren 1997 und 98 räumten für den Wienerwald 53 % die erste Prioriät dem Naturschutz, 44 % der Erholung, nur 4 % der Holznutzung ein. Etwas überraschend und wohl mehr ein Lippenbekenntnis, dass der Naturschutz noch weit vor der Erholung rangiert, unbestreitbar aber die weit höhere Bewertung dieser beiden Bereiche gegenüber der Wirtschaft.

Es ist selbstverständlich, dass vom Staatswald größere Rücksichtnahmen auf Naturschutz und Erholung, allgemein die Wohlfahrtswirkungen, verlangt werden können als vom Privatbesitz. Diese erhöhte Bedachtnahme auf die Wünsche und Bedürfnisse der Öffentlichkeit ist geradezu die Rechtfertigung dafür, dass der Staat oder auch andere Gebietskörperschaften Wald besitzen.


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Letzte Änderung: 2001-09-13 - Stichwort - Sitemap