Purkersdorf Online

Redebeitrag Manfred Bauer


Dr. Manfred Bauer

Redebeitrag Dr. Manfred Bauer, SPÖ, zur Gedenkveranstaltung „Purkersdorf denkt nach“:


In Vorbereitung auf dieses Impulsreferat habe ich einen Streifzug durch die Erinnerungslandschaft meiner Familie unternommen. Davon will ich Ihnen kurz erzählen:
Da gab es meinen Vater, er war Sozialist, Betriebsrat. Gewerkschafter, meinen Onkel Alfred Czernoch, bei dem ich aufgewachsen bin, er war Kommunist, langjähriger kommunistischer Gemeinderat in Purkersdorf, und einen weiteren Onkel, den Pepi Elsinger, er war lange Jahre Stadtgärtner von Purkersdorf und ÖVP-Sympathisant.
Dann gab es noch meine Tante, die Anni Czernoch, sie war so was wie das Zentrum dieser Familie: sehr politisch, Kommunistin mit Sympathie für Kreiskys Reformsozialismus, gläubig. Eine sehr politische und stets politisierte Familie jedenfalls.
Die drei Herren trafen sich Ende der sechziger Jahre jeden Sonntag im Haus meines Onkels zum „Präferanzen“.
Ich selbst durfte etwa ab meinem 10. Lebensjahr als Kiebitz daran teilnehmen, Karten spielen hab` ich dabei nicht gelernt, ich kann es bis heute nicht, faszinierender indes waren ohnehin die politischen Diskussionen, die geführt wurden.
Dabei entwickelte sich immer dasselbe Ritual: Die ersten zehn Minuten spielten sie schweigend, verbissen, nur die Ansagen durchbrachen die anfängliche Stille.
Aber eh man sich`s versah, waren sie mitten in einer politischen Diskussion, die nicht selten im Nachkriegsösterreich landete.
Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie sie darüber stritten, welche Partei denn für das Zustandekommen des Staatsvertrags hauptverantwortlich gewesen sei (der Staatsvertrag lag ja damals erst 10 bis 15 Jahre zurück, war also noch ein junger und aktueller Gedächtnisort). „Der Kreisky, der Pittermann und der Schärf“, hat mein Vater, der Sozialist, gesagt. „Der Koplenig, der Honner und der Friedl Fürnberg“, hat mein Onkel Alfred, der Kommunist, ihm entgegen gehalten. „Ihr versteht ja beide nix davon“, hat mein Onkel Pepi, ÖVP-Sympathisant, gemeint, „es ist doch wohl für alle in Österreich klar, dass es der Raab und der Figl waren“.
Am Höhepunkt der Diskussion, aufmerksam gemacht durch den anwachsenden Geräuschpegel, ist dann meine Tante Anni, die Frau vom Alfred Czernoch, ins Zimmer gekommen: „Schon wieder euer blödes Thema? Ich versteh euch nicht! Erwachsene Männer und so kindisch. Was soll sich denn der Bua von euch denken? Es ist doch völlig wurscht, wer was für den Staatsvertrag geleistet hat, entscheidend ist doch, was wir draus machen!“
Entscheidend ist doch, was wir daraus machen!
Mit diesem Satz hat sie nicht nur Frieden zwischen den politisierenden, rivalisierenden, Karten spielenden Alphatypen gestiftet.
In diesem Satz verdichtete sich auch ihre reiche, gleichwohl tragische Erfahrung: Die Erfahrung und Wahrnehmung der Jahre vor dem Krieg als junges Mädchen in Nikolsburg, als ihr Vater offen mit der deutschnationalen Henlein-Bewegung gegen die Tschechoslowaken, auch gegen seine unmittelbaren tschechoslowakischen Nachbarn, sympathisierte.
Ihre Erfahrung aus dem Weltkrieg, als sie ihren Vater verlor, der als Mitglied einer SS-Einheit von jugoslawischen Partisanen erschossen wurde.
Der Verlust ihrer Heimat, ihres Elternhauses, ihrer Freunde und vieler Verwandte, die nach 1945 in der Tschechoslowakei verblieben oder verbleiben mussten.
Dann ihre Erfahrung als Vertriebene, als Flüchtling, die in Purkersdorf eine neue Heimat fand.
Schließlich die Erfahrung mit ihrer durch die Kriegs- und Nachkriegsereignisse gebrochenen Mutter, die als Trümmerfrau nach dem Krieg in Wien am Bau arbeiten musste und zur Alkoholikerin wurde.
Solche Erfahrungen wollte meine Tante, wie Millionen anderer auch, niemals mehr machen; und sie wollte ihre Erfahrungen den jungen Menschen ersparen.
Für sie war der Staatsvertrag irgendwie selbstverständlich, doch schon die Neutralität vom Oktober 1955 war für sie so etwa wie eine „heilige“ Verpflichtung.
Sie sah in der Neutralität die einzige Chance, für den Rest ihres Lebens keinen Krieg und seine furchtbaren Folgen mehr miterleben zu müssen.
Wenn sie heute, am 60. Jahrestag der Befreiung von der nationalsozialistischen Herrschaft und am 50. Jahrestag der Proklamation der Neutralität den Ring und den Heldenplatz in Wien als Catwalk für waffenstarrende Bundesheer-Models miterleben müsste, sie hätte darin nur sehr geringe symbolische Ausstrahlung und besonders in der Eurofighter – Demonstration über Wien das falsche politische Signal verortet.
Die Neutralität ist nämlich nicht von Außen bedroht, sondern von jenen Kräften im Inneren, die in ihr ein Auslaufmodell sehen.
In dieser Aussage, „entscheidend ist doch, was wir daraus machen“, manifestiert sich in Wahrheit auch sämtliche Kritik daran, was in den letzten Jahrzehnten vielerorts und vielfach tatsächlich daraus gemacht wurde und was zum Teil noch heute, im Gedenkjahr 2005, gültig ist:
Da wurde aus der Befreiung 1945 ein fast schlichtes, banales Kriegsende gemacht. Die Befreiung wurde einfach auf den 26. Oktober 1955 vertagt.
Ich hab das noch als Schüler miterlebt, als man Österreichs „wahre Freiheit“ an diesem Oktobertag als „Tag der Fahne“ gefeiert hat;
„Österreich ist frei“, heißt und hieß für viele, damals wie heute: „Österreich ist russenfrei!“
Damals wurde der Mythos, 1955 habe die „echte Befreiung“ stattgefunden, als Teil einer angeblichen österreichischen Identität geschaffen, wie ich z.B. Anfang der siebziger Jahre noch im Geschichtsunterricht lernte. Vor allem die Rolle der Russen als Befreier – der Kalte Krieg stand vor der Tür – wurde fortan unterbelichtet. Die Nachkriegsperiode wurde stattdessen zum österreichischen Befreiungsepos aufgeblasen.
Wenn ich heute die vielen offiziellen Gedenkausstellungen – unsere hier in Purkersdorf klammer ich bewusst aus -, die ich besucht habe, Revue passieren lasse, muss ich feststellen:
Sie zeigen vielfach deutliche Parallelen zu den Mustern dieser restaurativen Kultur- und Gesellschaftspolitik der 50er –Jahre mit ihrem konservativen Interpretationsmonopol, das sich vielfach bis heute erhalten hat. Mit unserer Gedenkveranstaltung wollen wir wenigstens hierorts einen Beitrag zur Relativierung dieses Deutungsmonopols leisten.
„Entscheidend, was wir daraus machen“, hieß und heißt auch, gegen das kollektive Vergessen, gegen subventionierte Erinnerungslücken, gegen das allgemeine Verdrängen Stellung zu beziehen. Verdrängen bedeutet doch, von etwas nichts mehr wissen zu wollen, von dem man in Wirklichkeit noch weiß – oder wissen müsste.
Meine Tante wollte immer, dass alle, vor allem die jungen Menschen, wissen, wer den Krieg ausgelöst hat und wer ihn schließlich beendet und den Frieden gebracht hat. Daher verstummte auch nie ihre Kritik daran, dass schon in den ersten Nachkriegsjahren ehemalige Nationalsozialisten - mit tatkräftiger Unterstützung von ÖVP und SPÖ - wieder in den öffentlichen Raum und seine Institutionen zurückkehrten, als sei nichts gewesen.
Für sie blieben stets die Opfer Opfer und die Täter Täter. Ebenso wichtig wie die individuelle Erinnerung war ihr das kollektive Gedächtnis: das Bekenntnis zu Österreich sollte einzig auf der Basis der Kenntnis seiner Vergangenheit erfolgen.
Eine letzte Anmerkung:
Sie und ihr Mann, Alfred Czernoch, hatten die Mutter meiner Tante, die „Trümmerfrau“, in ihrem Haus in der Postsiedlung in Purkersdorf aufgenommen. Diese Frau, meine Großmutter, bewohnte dort ein Zimmer. Ein sehr großes Bild hing an der Wand. Es zeigte meinen Großvater, den ich nie kennen gelernt habe, in SS-Uniform.
Viele Jahre später, meine Oma war bereits verstorben, habe ich dann Tante und Onkel gefragt, wie sie es zulassen konnten, dass gerade in ihrem Haus das Bild eines SSlers, auch wenn es der Vater meiner Tante und meiner Mutter war, der Gatte ihrer Mutter, so lange hängen konnte.
Da erwiderte meine Tante: Die Oma hat das so gewollt. Auf diese Weise konnte sie sich stets an den Menschen erinnern, den sie über alles geliebt hat. Und sie konnte sich gleichzeitig an den nationalsozialistischen Soldaten erinnern, der diese große Liebe so jäh und mit furchtbaren Folgen für die Familie zerstört hat.
Würde meine Tante, die viel zu früh verstorben ist, heute noch leben, und würde sie das Gedenkjahr 2005 kommentieren, sie würde wahrscheinlich sagen: „Entscheidend ist, dass wir heute endlich was daraus machen.“
Wissen Sie, was ich ihr darauf erwidern würde? „Sieh mal, zumindest in Purkersdorf ist uns das heute gelungen!“

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Letzte Änderung: 2005-10-29 - Stichwort - Sitemap