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St. Petersburg


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Konzertreise in den weißen Nächten

Zum V. Festival der europäischen hebräischen Chöre und Orchester im Juli 2017 sind wir mit dem im Februar 2016 gegründeten Wiener Klezmer Orchester unterwegs.
35 Musiker/innen: von Querflöte, Harfe, Streichern zu Akkordeon und Schlagzeug usw. aus unterschiedlichen Nationen: Österreich, Deutschland, Frankreich, Serbien, Israel, USA, Australien – um nur einige zu nennen.
Da nicht alle Musiker/innen dabei sein können, werden örtliche Musiker/innen zugekauft, um die Ausgewogenheit der Instrumente im Orchester zu erhalten: 5 Streicher/innen, 2 Querflöten, 1 Tenorsaxophon... Sie kommen von lokalen Konservatorien und spielen vom Blatt.
Unsere großen Instrumente (Schlagzeug, Kontrabass, Akkordeon...) können wir vor Ort ausborgen. Diese stehen am 1. Tag bereit und sind in gutem Zustand – ein Cello war an der Seite fachkundig mit Tixo geklebt, mein weißes Scandalli-Akkordeon mit pittoresken Registerklappen hatte statt eines Schulter-Lederriemens eine starke Schnur angebunden.

An diesem Festival, das jährlich in einem anderen europäischen Land statt findet, nehmen 600 Chorist/innen teil. Auch diese kommen aus verschiedenen Ländern: Israel, Frankreich, Italien, Großbritannien,.. mit uns insgesamt 12 Ensembles. Der Wiener Jüdische Chor ist auch dabei. Die meisten Sänger/innen sind jüdischer Herkunft.

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Wir logieren 6 Tage lang im größten Hotel St. Petersburgs, dem „Azimut“ mit 1.000 Zimmern. Wir proben im hoteleigenen Veranstaltungssaal.
3 Kompositionen, arrangiert von unserem Orchesterleiter, dem Wiener Roman Grinberg mit moldawischen Wurzeln, führen wir alle gemeinsam beim Galakonzert auf: die israelische Hymne Hatikvah, Ose Shalom und Yerushalayim shel Zahav (Jerusalem of Gold).
Eine neue Erfahrung für die meisten Chöre, instrumental begleitet zu werden und für uns, mit so vielen Künstler/innen auf einer Bühne zu stehen!

Überhaupt ist diese Konzertreise ein Erlebnis der Sonderklasse für uns:
gerade mal 16 Monate alt, spielt das Wiener Klezmer-Orchester nach Konzerten beim Viertel-Festival in Poysdorf und Mistelbach und einem Abend im Wiener Volkstheater nun in Russland auf: auf der Bühne der Petrikirche am Nevskii-Prospekt, im Capella-Konzertsaal am Rande der Neva und zum krönenden Abschluss in der neu errichteten Mariinsky-Konzerthalle.
Viele gemeinsame Proben sind nicht möglich: gleich am 1. Morgen im Hotel, dann jeweils direkt in den Spielstätten vor den Konzerten.

Die Konzerte dauern jeweils 4 Stunden und sind bis auf die Mariinskyhalle für das Publikum kostenlos. Jeder Chor und das Orchester bringen 3 Stücke dar. Es wird Klassik, Klezmer, sakrale Musik dargeboten, um nur eine Auswahl zu nennen.
Die Zuhörer/innen sind sehr ausdauernd, die Plätze sind gefüllt und wir werden immer wieder beklatscht und angefeuert.
Als wir in der Petrikirche von der Bühne steigen, müssen wir durch ein begeistertes Spalier an Petersburger/innen schreiten. Wunderbar!

Solch eine Menge an Leuten zu koordinieren erfordert eine gute Organisation, welche wir stündlich erfahren dürfen. Sowohl im Hotel, in der Synagoge als auch an den Spielstätten werden wir perfekt von den Veranstaltern und den vielen Freiwilligen versorgt, Festivalsprache ist Englisch.
Die leckere russische Verpflegung, die Hotelunterbringung, die Transfers, das Freizeitprogramm, alles funktioniert reibungslos.
Es ist wie ein Wunder. Täglich sind wir innerhalb 1 (!) Stunde mit den Mahlzeiten fertig.

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Dreimal sind wir in der „Grand Choral Synagogue“ zu Gast: bei zwei Mittagessen im kryptaähnlichen Souterrain und bei der Abschlussparty des letzten Abends im Hauptraum der Synagoge. Diese ist für Musikdarbietungen hervorragend geeignet.
Das Khabbalat Shabatfest wird jedoch im Hotel gefeiert, wo alle Teilnehmer eingeladen sind. Wir werden in der Liturgie mit Erklärungen begleitet. Danach gibt es ein traditionelles Dinner an den für jeweils 12 Personen reichenden Tischen. Die Feier mit Gesang und Tanz geht jedoch zwischen den einzelnen Gängen weiter. Es ist eine berührende Erfahrung.

Bei der Willkommensparty am 2. Abend im Hotel spielt für uns „Dobra Noc“, eine Kezmerband aus St. Petersburg Freylekhs und Bulgars. Schon nach den ersten Takten ist die Tanzfläche gesteckt voll. In den Pausen wird russischer und westlicher Pop aufgelegt.
Wodka gehört auch dazu und so kreisen 3 Flaschen...
Die Nächte sind nicht nur weiß, sondern auch lang...
Am nächsten Morgen gibt es 3 angeschlagene Musiker, während unser moldawischer Dirigent Sasha fröhlich um 15 h an der Bar sein Frühstück einnimmt... Ein guter Ersatz für das tägliche einem Ameisenhaufen gleichende morgendliche Buffet -

Konzerte zu spielen bedeutet vor allem eines: zu warten. Spielt man nicht den ganzen Abend selbst, ist man beschäftigt, sich in unserem Fall 4 Stunden lang mit Essen und Trinken zu versorgen, Frischluft zu schnappen, in kleinen Garderoben das Instrument, Notenständer, Leuchtmittel griffbereit zu verstauen, die passende Kleidung anzulegen (schwarz-weiß), die Stücke nochmals durch zu gehen oder zu ruhen.
Im Mariinsky gibt es Live-Screens von der Bühne, um genau sehen/hören zu können, wann man an der Reihe ist. Auch muss man die persönliche Energie gut einteilen; das Abschlusskonzert dauert bis 23.15 h!

Beim Lied „Halleluya“ von L. Cohen begleiten wir die junge internationale Sängerin Christine Schneidermann.
Ihr Outfit lenkt von ihrer schönen Stimme taktweise ab:
weißer Jogginganzug mit Goldstreifen und Edelsneakers im Capella-Saal, legeres Top zur melangefarbenen Alltagshose. Im Mariinsky erscheint sie endlich im Abendkleid, jedoch ohne BH, wie unsere amerikanische Kollegin fachfrauisch konstatiert und als Draufgabe: mit Turnschuhen.

Wichtig war auch die Übung des exakten auf die Bühne-/von der Bühne-Schreitens als 40-köpfige Orchester-Masse. Die besondere Herausforderung ist die Befüllung der riesigen Konzertbühne des Mariinsky mit dem Orchester und den 600 (!) Sänger/innen in relativ kurzer Zeit und abgelenktem Publikum. Dies gelingt dank einer gut durchdachten Choreografie und überleitenden Worten perfekt.

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Neben der aufwändigen musikalischen Einsätze haben wir auch ein wenig Zeit, uns in St. Petersburg, dem „Venedig des Ostens“ um zu sehen.
Eine Stadtrundfahrt mit dem Bus zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten und eine Bootsfahrt um Mitternacht auf der Neva werden geboten.
Dazwischen machen wir Spaziergänge ins Zentrum, benützen auch den lokalen Bus und die U-Bahn. Schauen uns das alte Singer-Haus an, in dem jetzt eine Buchhandlung ist, das Grandhotel im Jugendstil in einer Seitengasse des Nevskii Prospekt, wo es gefühlte 40 Kaviarsorten von € 60,-- pro Portion aufwärts zu genießen gibt oder ruhen uns im Café Volkonskiy aus, wo es die örtlich beste heiße Schokolade zu verkosten gilt.
Wir nehmen auch die Einladung des Akkordeonisten von Dobra Noc an, ihn zu der Hochzeit seines Kollegen in einem Grunge-Lokal zu begleiten...
Ein später Abend in einem ehemaligen Fabrikshof im Freien mit einladender Liveband. Der Türsteher lässt und mit unseren Instrumenten ein. Viele junge Gäste begrüßen uns auf Deutsch, das sie gut sprechen. Zwischen den Tänzen kosten wir Muffins mit Schinken und Cupcakes mit Bretzeln.
Die Heimfahrt bestreiten wir mit einem Taxi, allerdings, mangels Verfügbarkeit, mit einem Tadschiken, welcher mit seinem eigenen Wagen fährt. Da mir die Preise bekannt sind, ist diese Variante eine gute Option.

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Diese Reise mit ihren vielfältigen Erfahrungen war also ein guter Auftakt zu weiteren Festivals und Auftritten und hat uns einander und unsere Möglichkeiten in gelungener Atmosphäre näher gebracht.
Vivat das weltweit einzige Klezmer-Orchester!

Susanne Wallner

Oktober 2017


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