Purkersdorf Online

"WIR SIND BAHN“ zur ÖBB-Diskussion


„WIR SIND BAHN“
Österreichweite Zusammenarbeit von Umwelt- und Verkehrsinitiativen für
einen attraktiven Öffentlichen Verkehr

In "WIR SIND BAHN“spielt der anerkannte Purkersdorfer Verkehrsexperte
Ing. Andreas Offenborn als Vertreter für NÖ eine maßgebliche Rolle.

Anmerkung: Neuerdings wird ja von der Regierung vieles als "Reform"
bezeichnet, was eigentlich Zerstörung, Diebstahl oder nur Bereicherung
weniger ist.
JB


3. November 03
STELLUNGNAHME ZUR ÖBB-REFORM
Mit der Bitte um Berücksichtigung beim Begutachtungsverfahren

Wertes Präsidium des Nationalrates, sehr geehrter Herr Bundesminister!

WIR SIND BAHN als konsequente Vertretung der Fahrgäste hat Sorge über
die Zukunft der Bahn und erlaubt sich zum vorliegenden ÖBB-Reform wie
folgt Stellung zu nehmen, wobei WIR SIND BAHN sich auf Kernaussagen
beschränkt:

Präambel zur ÖBB-Reform:
Grundsätzlich wird eine Reform der ÖBB begrüsst, ein intensiver Dialog
über Effizienzsteigerungen, Wettbewerbsfähigkeit, Kundenorientiertheit,
Verbesserung des Mobilitätsangebotes im Zuge der Bahnliberalisierung
ist notwendig und wünschenswert.
Auch der Anspruch durch schlanke Strukturen marktorientiert handeln zu
können, ist gerechtfertigt.

Die Eile der Reform, die Vorgangsweise aber auch viele Inhalt der
Reform werden diesem Anspruch nicht gerecht.

Vom logischen sachlichen Zusammenhang wäre folgende Vorgangsweise nötig:
1. Politische Festlegung von Qualitäten für den Fahrgast (integrierter
Taktfahrplan, Mindestbedienungsqualität etc.) und für den Güterkunden.
2. Darauf aufbauend ein Betriebskonzept.
3. Daraus sich ergebend Infrastrukturausbauten.

Die vorgelegte Reform verzichtet nicht nur auf die Festlegung solcher
Ziele für die Kunden und beschränkt sich bei den Zielen weitestgehend
auf "finanzielle Einsparungen", durch die Zerschlagung der ÖBB in
einzelne Teile erschwert sie zudem eine ganzheitliche Herangehensweise,
um solche Kundennutzen aber auch übergeordnete staatliche Ziele (wie
z.B. Klimaschutz) zu erzielen. Der vorgelegte Reformvorschlag wird
daher einer zukunftsfähigen Verkehrspolitik nicht gerecht

Darüber hinaus birgt die Reform die Gefahr in sich, dass es zu
steigenden Kosten aufgrund der fehlenden Synergien und einer
einhergehenden Verwaltungsaufblähung (7 AG !) kommen wird. Dabei
könnten auch die Fahrgäste unter die Räder kommen, die mit geringerem
Leistungsangebot und höheren Tarifen rechnen müssten.

Die Hüh-Hott-Politik der im ½-Jahrestakt wechselnden Verkehrsminister
sollte da selbstkritisch bedacht werden.


Es fehlen klare verkehrspolitische Ziele und Prioritäten

Die ÖBB wird als reines Finanzproblem gesehen, die Budgetsanierung
steht im Vordergrund und nicht die Attraktivierung der Bahn. Die
Analyse über den Istzustand der ÖBB fehlt gänzlich. Nachdem die ÖBB bei
der Gründung im Jahr 1992 im Gegensatz zu anderen europäischen Bahnen
(Deutschland) nicht entschuldet worden ist, werden an die 10 Mrd. € mit
hoher Zinsbelastung mitgeschleppt. Veraltetes Wagenmaterial, desolater
Zustand vieler Bahnhöfe etc.

Die Bundesregierung hat es auch bisher nicht zuwege gebracht durch
klare Finanzströme (Finanzausgleich) die notwendigen Mittel für den
Öffentlichen Verkehr insgesamt zur Verfügung zu stellen. Derzeit
erfolgt ein „kalter Finanzausgleich“, d.h. die Kompetenzen wurden den
Ländern übertragen ohne Regionalisierung der Mittel. Somit entscheidet
der Zufall bzw. politische Zugehörigkeit/Lobbies, welche Projekte in
den Bundesländern Bundesmittel bekommen. Hinzu kommt noch, dass der
Generalverkehrsplan ein Sammelsurium von Länderinteressen darstellt,
mit teils höchst fragwürdigen Prioritäten.

Im neuen ÖBB-Gesetz werden die verkehrspolitischen und umweltrelevanten
Ziele äußerst vage formuliert, die Senkung des Zuschussbedarfes steht
im Vordergrund der Reform, nicht aber die Kundenorientiertheit.

Entscheidend wäre aber eine Zieldefinition, z.B. Integraler
Taktfahrplan, Mindestbedien-qualitäten, Veränderung des Modal splits,
50 %ige Zweckbindung des Roadpricings für die Bahn, %-Anteil der
Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene, Attraktivierung der
Regionalbahnen, die Umsetzung der Alpenkonvention, Erreichung des
Kyotozieles etc.

Strukturrefom bringt höhere Verwaltungskosten und Synergieverluste

Eine Verwaltungsaufblähung durch die Gründung von 7 AGs bringt auch
steigende Kosten mit sich. Es drohen Synergienverlust, z.B. Personen-
und Güterverkehr.

Kontraproduktiv die Trennung zwischen Infrastruktur Bau und Erhaltung:
Prestigeprojekte wie die Koralmbahn werden ohne Absprache mit dem
Betrieb durchgezogen.

Eine Regionalisierung der Kompetenzen bei Regionalbahnen mit
Enscheidungsstrukturen vor Ort fehlt gänzlich im Entwurf (Modell
SüdostBayernBahn).

Budgeteinsparung stehen im Vordergrund und nicht die Attraktivierung
der ÖBB

Die jährliche Dynamisierung des Infrastrukturbenützungsentgeltes (bis
zu 40 % bis 2007) wird Einbrüche beim Güterverkehr und Tariferhöhungen
für die Fahrgäste bewirken
Unsachliche, polemische Darstellung der Bundeszuschüsse an die ÖBB,
z.B. Pensionszahlungen als Bundeszuschüsse an die ÖBB auszuweisen,
deuten auf keinen „guten Geist“ des Gesetzes hin.

Der Personenverkehr wird durch Trennung vom Güterverkehr schwieriger
finanzierbar. Für viele Regionalbahnen (z.B. Salzburger Lokalbahn,
Pinzgaubahn) ist beides (Personen- & Güterverkehr) eine
Überlebensfrage.

Infrastrukturbenützungsentgelt (IBE) wird nicht ausreichen,
Erhaltungsaufwändungen zu finanzieren, eine weitere Erhöhung des IBE
den Güterverkehr auf der Bahn gänzlich einbrechen lassen. Bisher
konnten die Erhaltungsaufwände/Fahrzeuge durch den nur einmal möglichen
Verkauf von Immobilien abgedeckt werden, die aber nun zur
Infrastrukturgesellschaft Bau wandern sollen. .

Verscherbeln der ÖBB-Immobilien engt deren Spielraum für die Zukunft
ein.

Folge: Sicherheitsstandards werden leiden, zwar massive
Streckenausbauten erfolgen aber Rücknahme des Angebotes aus
finanziellen Gründen wahrscheinlich.

Die Aussage im Entwurf: „Die Bundesregierung sieht keine Alternative“
ist nicht zu akzeptieren:

Was ansteht ist eine massive Verlagerung von Straßenbaumittel auf die
Bahn bzw. die gesamten öffentlichen Verkehr. Zweckbindung des
Roadpricings zu 50 % für die Öffis. In der Schweiz werden 2/3 der
Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe für die Bahn verwendet.

Finanzielle Auswirkungen

Die Kosteneinsparung durch Reformmaßnahmen von jährlich 1 Mrd. € ist
ohne Substanz und unseriös, so lange keine klar definierten Ziele
vorliegen.
Die mangelnde Entschuldung der ÖBB und das Ausweichen auf PPP-Modelle
werden die Bahn weiter verschulden.

Die Verwaltungsaufblähung durch 7 AGs wirken sich ebenfalls
kostensteigernd aus.
Dass der Öffentliche Verkehrs sich selbst finanzieren kann ist
unrealistisch, es kann nur immer um einen hohen Kostendeckungsgrad
gehen. Oder die Tarife werden kräftig angehoben - dann soll sich die
Politik aber dazu bekannen.

Die Regionalbahnen mit einem IBE zu belasten ohne gleichzeitig die
Bundes- und Landesstraßen in die Straßenmaut einzubeziehen führt zu
einem weiteren Ungleichgewicht der Kosten zwischen Schiene und Straße.
Die Forderung: IBE-Befreiung für Regionalbahnen ist aufzunehmen.

12.000 Eisenbahner sollen wegrationalisiert werden – wo ist der
Rationalisierungsplan?

Ob und inwieweit die Einsparung von 12.000 Eisenbahnern Sinn macht,
hängt von der Zieldefinition ab und muss durch einen eigenen
Rationalisierungsplan festgelegt werden.
Ein Durchziehen um jeden Preis gefährdet Sicherheitsstandards und das
Service für die Fahrgäste. Solche Aussagen führen zu einer Demotivation
der Eisenbahner. Kunden haben das Recht, gut bedient zu werden - daß
dies durch demotivierte Mitarbeiter nicht geschehen kann, ist
einsichtig. Schon allein aus diesem Grund ist die getätigte
Vorgangsweise abzulehnen.


Ist die EU-Konformität der ÖBB-Reform gegeben?

Aufgrund der Tatsache, dass sämtliche Gesetzesvorhaben, wie
Pensionsreform, Sozialversicherungen vom Verfassungsgerichtshof
beeinsprucht worden sind, wäre eine Überprüfung durch einen
unabhängigen Consulter äußerst ratsam.

WIR SIND BAHN-Vorschlag zur weiteren Vorgangsweise

Für die Bahnreform muss es sowohl einen nationalen Konsens als auch die
Zustimmung des ÖBB-Vorstandes, der Bediensteten und WIR SIND BAHN
geben.

Wir schlagen daher eine Nachdenkpause von 6 Monaten vor und die
Einberufung eines „RUNDEN TISCHES“ durch den Bundeskanzler vor, um eine
Zieldiskussion zu führen und Wege zur Zielerreichung zu vereinbaren.
Erst dann soll über die ÖBB-Reform entschieden werden.

Dem Runden Tisch sollte der Bundeskanzler, der Infrastrukturminister,
die Verkehrssprecher der Parlamentspartein, der ÖBB-Vorstand, die
Gewerkschaft/ und WIR SIND BAHN-Vertreter angehören.

Als ersten Schritt steht eine Einigung über die Zukunft der ÖBB an:
Geht es um künftig um eine
1. Bestandssicherung bei den ÖBB?
2. Ist eine europaweite Expansion der Unternehmens ÖBB sinnvoll?
3. Inwieweit soll eine Marktanteilsausweitung innerhalb
Österreichs erfolgen (Änderung Modal Split)?

Als zweiter Schritt wären die Wege zur Zielerreichung festzulegen:
· Welche Strukturen werden zur Umsetzung der Ziele gebraucht?
· Wie erfolgt die Regionalisierung der Mittel vom Bund auf die
Länder im Wege des Finanzausgleiches?
· Entschuldung der ÖBB hat Priorität
· Wie kann die ÖBB durch eine dezentrale Entscheidungsstruktur
effizient arbeiten?
· Sind ausreichend Sachkundige Vertreter im
Unternehmensvorstand/im Aufsichtsrat
· Mitbestimmung der Fahrgäste durch einen Aufsichtsratssitz für
WIR SIND BAHN
· Schaffung eines Fahrgast-Beirates (s. England) bei den ÖBB

Für all das ist die Dialogbereitschaft der Bundesregierung und
Einladung zum „Runden Tisch“ Voraussetzung:

Bis dato verweigert allerdings sowohl Infrastrukturminister Gorbach als
auch sein Staatssekretär Kuckacka den Dialog über die Bahnreform mit
den österreichweit agierenden Umwelt- und Verkehrsinitiativen WIR SIND
BAHN. Auch aus dem Bundeskanzleramt gab es kein Zugehen auf die
Initiativen.
WIR SIND BAHN denkt daher auch über Protestaktionen der Fahrgäste nach!

WIR SIND BAHN ersucht die Stellungnahme ins Begutachtungsverfahren
einzubeziehen und bei Fachgesprächen beigezogen zu werden.

Für WIR SIND BAHN

2003-11-05


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