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Orchideen brauchen Bauern


Orchideen brauchen Bauern brauchen Bauern Orchideen?

von Univ. Prof. Dr. Wolfgang Holzner

 

Orchideen sind durch zu häufigen Gebrauch als Naturschutzargument leider ziemlich abgenutzt und schon seit längerem ein rotes Tuch für diejenigen, die erlebt haben, wie ihre Namen in Debatten als Keule für Anliegen des Naturschutzes geschwungen werden. Schon deshalb war es verwegen von mir, dieses Thema zu wählen. Dazu kommt noch, dass ich es dabei wage, in der Höhle des Löwen zu brüllen, da der Veranstalter und vermutlich noch einige andere der Anwesenden sich bei diesen geheimnisvollen Pflanzen viel besser auskennen als ich.

Trotzdem meine ich, dass die Orchideen ein gutes Beispiel dafür sind, dass man über die Lebensweise der meisten naturschutzrelevanten Pflanzenarten zu wenig weiß, um allein auf Grund ihres Auftretens oder Fehlens schwerwiegende Entscheidungen zu treffen. Auf dem mageren Wissen Managementplanungen aufzubauen, erscheint mir leichtsinnig, beides ein Beispiel für falsche Umsetzung von bloß oberflächlich verstandener Wissenschaft(lichkeit). Es ist zum Beispiel doch viel logischer und einfacher, solange man nichts Genaueres weiß, zunächst einmal davon auszugehen, dass die ein- und zweimähdigen Wiesen naturschutzfachlich immer wertvoll sind und dass daher die bisherige Bewirtschaftung richtig war und ihre Weiterführung gesichert werden sollte. Hier liegen nämlich die wirklichen Probleme und nicht in der Frage, ob es ein bisschen mehr oder weniger Dünger sein darf und wann genau gemäht werden muss.

Und damit komme ich zum eigentlichen Thema, bleibe dabei zwar bei den Orchideen, verwende diesen Begriff aber nur mehr als naturschutzfachlichen Markennamen stellvertretend für eine ganze Reihe von anderen Wiesenpflanzenarten bzw. -artengruppen, die sowohl durch Intensivierung als auch durch Nutzungsaufgabe gefährdet sind.

 

Wenn man diese Pflanzen erhalten will, so muss als erstes fragen:

 

Was braucht eine Orchidee zum Leben?

 

Abb. 1: Grobes Schema des Ökosystems einer Orchidee naturwissenschaftliche Sicht

 

Nun das ist an sich ganz einfach, das weiß jeder, wir wollen das hier nur ganz grob streifen: Da wären einmal die Grundnahrungsmittel wie Wasser, Nährstoffe und Kohlenstoff in Form von Kohlendioxyd oder indem ihr Pilz für sie organisches Material aufschließt, solange sie noch oder wenn sie schon wieder unterirdisch lebt. Zu ihrer Lebensgemeinschaft gehört also ein Pilz, dann natürlich auch Bestäuber. Der Wind hilft bei der Verbreitung der Samen, und zumindest winzige offene Bodenstellen sind wichtig, damit sich die Pflanzen etablieren können. Die notwendige Energie für das alles kommt zunächst einmal von der Sonne. Das heißt also: Orchideen brauchen Licht, sie sind eher kleinwüchsig und manche haben die meisten Blätter in Bodennähe.

Und das ist nun der Grund, warum Orchideen auf halbwegs wüchsigen Grünlandstandorten fehlen. Hier haben sie nur eine Chance, wenn die Vegetation künstlich zumindest über einen Teil der Saison durch Mahd oder Beweidung niedrig gehalten wird. Hören diese menschlichen Eingriffe auf, fällt das Grünland brach, so verschwinden auch die Orchideen. Dies kann man sehr deutlich in manchen Naturschutzgebieten ohne ausreichendes Management beobachten.

 

Menschen sind Bestandteil des Orchideen-Ökosystems

 

 

Abb. 2: Menschen gehören daher offenbar zum (Öko)system der Orchideen dazu

 

Nun, damit erzähle ich natürlich nichts Neues. Es ist heute wohl allen Orchideenfreunden klar, dass zu den Grünlandorchideen auch eine Bewirtschaftung, pardon Pflege, gehört. Das war eine nicht gerade angenehme Einsicht: Man muss sich nun plötzlich nicht nur mit friedlichen Pflanzen beschäftigen sondern mit Menschen, womöglich noch mit solchen, die gar nicht verstehen können oder wollen, warum Orchideen wichtig sein sollen.

Im Wort „Bewirtschaftung“ steckt Wirtschaft, Ökonomie, also ein  -  zumindest scheinbar  -  anderer Zugang zu Wiesen als der, den der Naturschutz vertritt. Damit wird die Sache viel komplizierter. Die Idee, Bauern durch Landschaftspfleger, womöglich naturschutzfachlich ausgebildete, ersetzen zu wollen liegt auf der Hand. Aus verschiedenen Gründen ist das allerdings nicht so einfach möglich. Einige der Gründe sind rein praktischer, bzw. finanzieller Natur. Wiesenschutz durch Nutzung ist die weitaus billigste Variante. Berechnungen dazu hat das ÖKL im Rahmen der Machbarkeitstudie[1] zum Biosphärenpark Wienerwald angestellt.

Ein weiteres Problem ist die bisher nur ansatzweise gelöste Frage: Wohin mit dem Mähgut? Es gibt aber auch naturschutzfachliche Einwände gegen eine auf wissenschaftlichen Grundlagen geplante und entsprechend teure Landschaftspflege, die entsprechend rationell, d.h. maschinell und großflächig durchgeführt werden muss. Ich kann darauf hier nicht im Detail eingehen, sondern will dieses Thema mit Zitaten aus einem wissenschaftlichen Buch[2] abschließen, die ich so interessant gefunden habe, dass ich sie hier bringen will:

 

Vereinheitlichte...gegenüber der traditionellen Nutzung präferierte Pflegemaßnahmen stellen ...einen starken Kontrast zur einstigen Nutzungsvielfalt dar...(die) für bestimmte Pflanzengesellschaften eine Nivellierung zur Folge haben und zur Homogenisierung einzelner Lebensräume führen. Denn stochastische Ereignisse, wie etwa sporadische..... Nutzungen,... haben in den modernen Konzepten keinen Platz mehr, sind jedoch auch nicht planbar. Die Definition von Toleranzgrenzen für Nutzungsänderungen in Planungen ist ... möglicherweise dienlicher als die genaue Definition von Sollzuständen.

 

Dies wären Sätze die ich auf die erste Seite im Stammbuch von NaturschutzplanerInnen schreiben würde, wenn sie mir Gelegenheit dazu gäben. Es gibt bereits genug Beispiele dafür, dass gerade durch Managementplanungen auf vermeintlich(!) wissenschaftlicher Grundlage, die Zielarten ausgerottet wurden und ich vermute, dass einiges in der Richtung durch Managementauflagen im Zuge des ÖPUL passiert ist oder noch passieren wird. Allein schon die Festlegung genauer Mähtermine ist ja ein ökologischer Unfug, da die Entwicklung der Zielarten und der (naturschutzfachlich und landwirtschaftlich)sinnvolle Mähzeitpunkt sich nicht nach dem Kalender richtet, sondern mit der Witterung zu Jahr in einem sehrweiten Bereich fluktuieren kann. Hier wäre Flexibilität vorzusehen und mehr Vertrauen in das richtige Augenmaß der Wiesenbewirtschafter. Im Zuge der Planungen für den Biosphärenpark könnten diese Gesichtspunkte berücksichtigt werden.

Die Frage Wiesenerhaltung durch bloße Landschaftspflege statt Nutzung darf ich im Wienerwald so kursorisch behandeln, weil es zur Zeit noch genug Landwirtschaftsbetriebe im Wienerwald gibt, das Thema also eigentlich hier nicht relevant ist oder zumindest sein sollte. Dass natürlich der eine oder die andere Orchideenfreund sich die (anderen) Wiesennutzer, d.h. die Bewirtschafter, möglicherweise immer noch wegwünschen mag, steht auf einem anderen Blatt. Vor der Vorgangsweise, die Bewirtschafter nun durch Auflagen und Schmiergelder (sprich Förderungen) an die Kandare zu bekommen, damit sie genau das tun, was zur Zeit(!) als wissenschaftlich abgesichert gilt, habe ich hiermit gewarnt.

  

Abb.3: Orchideen und Ökonomie

 

Kehren wir daher zurück zu unseren Orchideen und überlegen wir uns, ob ihr System nun vollständig ist, bzw. was noch fehlen könnte. Die Energie, die den Landwirtschaftsbetrieb (der günstige Wuchsbedingungen für die Orchidee schafft) am Leben hält, heißt grob gesprochen Geld. Die Höhe dieses Einkommens hängt nun von Faktoren ab, die ihrerseits wieder von Einflussgrößen gesteuert werden, die zum größten Teil weit außerhalb der Region, in unserem Fall dem Wienerwald, liegen.

 

Orchideen schmecken gut

 

Und noch ein interessanter Aspekt taucht auf. Ein Faktor, der den Energiefluss zu den Orchideenerhaltern (um nicht zu sagen Orchideenzüchtern) bestimmt, ist das Konsumverhalten der Allgemeinheit, das ja auf den Markt wirkt. Das heißt es kristallisiert sich allmählich heraus, dass wir alle zum System der Orchidee dazugehören und es zumindest theoretisch beeinflussen können.

 

Abb.4.  Das System der Orchidee reicht bis nach Brüssel und darüber hinaus, aber auch zu uns allen.

 

Der Einfluss der Konsumenten auf die Funktionsfähigkeit des Orchideensystems ist, wie gesagt, einstweilen nur ein ziemlich theoretischer. Wir Konsumenten haben solange wenig Eingriffsmöglichkeit, solange wir nicht direkt vor Ort einkaufen können und die Preise bestimmen können.

  

Abb. 5: Direktvermarktung hier stellvertretend für regionale Lösungen, die das System der Orchideen wenigstens teilweise von externen Einfflüssen abpuffern.

 

Entscheidend ist, dass diese wirtschaftlichen Faktoren und der damit zusammenhängende Energiefluss von innerhalb der Region gar nicht mehr beeinflusst werden können. Unsere Orchideen werden so, grob gesprochen, zum Spielball der Weltwirtschaft und EU-weiten Agrarpolitik. Es ist nun die Frage, ob das unbedingt so sein muss, bzw. ob es nicht eine Möglichkeit gibt, sich hier abzukoppeln, wenigstens teilweise autark zu werden. Eine der Möglichkeiten dazu, die immer wieder angeführt wird, wäre die Förderung einer regionalen Direktvermarktung. Gerade im allgemein bekannten und beliebten Wienerwald mit dem Markt einer Millionenstadt als Rückendeckung erscheint dies geradezu als Patentrezept, das System unserer Orchideen abzusichern und nachhaltig funktionsfähig zu erhalten (siehe auch die Studie zitiert in Fußnote 3). Gegen derartige Vorschläge wird allerdings oft das Konsumverhalten der Österreicher ins Treffen geführt, die in erster Linie auf den Preis schauen würden. Wo die Sachen herkommen und wie sie produziert würden, sei der Mehrheit egal.

Wenn man sich allerdings überlegt, was man den Leuten alles durch entsprechende Werbung verkaufen kann, so wirkt diese Argumentation unglaubwürdig, und man muss sich fragen, warum der Naturschutz bisher nicht überzeugende Werbestrategien entwickelt hat, um seine Orchideen zu erhalten.

Es geht also offenbar darum, ein entsprechendes Bewusstsein, nennen wir es hier ruhig Orchideenbewusstsein zu entwickeln, zu verbreiten und zu fördern. Entsprechende Ideen und Slogans gibt es bereits genug, vor allem im Ausland und warum sollte, was in der Schweiz möglich ist, nicht auch im Wienerwald auf die Beine gestellt werden können. Wer Produkte aus dem Wienerwals konsumiert, fördert damit seine eigene Erholungslandschaft und seine Orchideen, die er natürlich dank richtiger Werbung kennt und schätzt. Den Spruch aus Deutschland Landschaft schmeckt! wird man aber besser nicht zu Orchideen schmecken umändern, obwohl ihre Knollen tatsächlich essbar sind (Apropos: wissen das alle Orchideenschützer bereits? Schon probiert?).

 

Orchideen brauchen Bauern Bauern brauchen Orchideen

 

Eine Werbung, die bewusst macht, wie Landschaft und Orchideen mit Landwirtschaft zusammenhängen, wird auch noch einen zusätzlichen Effekt haben: Es war zwar nun immer von finanzieller Energie die Rede, doch wir alle wissen, dass der Mensch nicht von Geld allein lebt. Das ÖKL hat in unserer „Wienerwaldwiesenstudie[3]“ von 1995 (im Auftrag des Vereins Niederösterreich-Wien – Gemeinsame Erholungsräume) bereits sehr interessant herausgearbeitet, dass innerhalb gleicher ökonomischer und sozialer Rahmenbedingen Landwirte und Landwirtinnen ganz unterschiedlich agieren können. Es gibt einen breiten Spielraum von Wirtschaften auf maximalen Ertrag hin ohne Rücksicht auf Umwelt und Landschaft bis zu einem sensiblen Umgang mit diesen Werten. Die Ursachen für diese unterschiedlichen Zugänge zum gleichen Beruf mögen vielfältig sein. Eine davon ist sicherlich die Motivation durch das Gefühl „das was ich für Landschaft und Natur tue, wird von der Allgemeinheit anerkannt“. Ich weiß nicht, wie es im Wienerwaldbereich diesbezüglich aussieht, aber im Gebirge ist diese Motivation durch Anerkennung wichtig, wenn es um die Entscheidung geht, ob ein junger Bauer oder eine junge Bäuerin den Hof übernimmt und weiterführt.

  

Abb. 6: Der Kreis ist geschlossen Bauern brauchen offenbar Orchideen: es besteht eine Wechselwirkung zwischen 1 und 8 über 18,15,16 (falls vorhanden!), 12 und 11.

 

In der obigen Abbildung sind der besseren Übersichtlichkeit wegen nicht alle bestehenden Beziehungen durch Pfeile repräsentiert. Doch es müsste nun deutlich geworden sein, dass das Wohl und Wehe der Orchideen nicht nur von der Tätigkeit der LandwirtInnen sondern zumindest im Wienerwald in letzter Konsequenz von uns allen abhängt. Die Landwirtschaftsbetriebe profitieren letzten Endes umgekehrt wieder von ihrer Orchideenpflege in der Form, dass ihr Vorhandensein und ihre Tätigkeit für die Allgemeinheit gerade im Rahmen eines Biosphärenparks steigende Bedeutung bekommen hat. Diese wichtige Rolle müsste sich umgekehrt einerseits in den entsprechenden Produktpreisen und Förderungen und andererseits in der verdienten Anerkennung durch die Orchideenfreunde und die Allgemeinheit ausdrücken.

Er ergibt sich daraus, dass die erste Aufgabe einer Regionalplanung, im konkreten Fall die des Biosphärenparks, sein muss, das Verständnis für diese Zusammenhänge zu verbreiten. Den Orchideenfreunden muss es selbstverständlich werden, dass Naturschutz bedeutet, die Bauern mit allen Mitteln zu unterstützen und zu fördern, den Bauern, dass Orchideenwiesen auch für sie ein Schatz sind, der ihren Schutz braucht. Bloß die Orchideen selbst muss man nicht in die Öffentlichkeitsarbeit mit einbeziehen. Sie wissen von Natur aus ohnehin alles, was sie zum Überleben brauchen.


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Letzte Änderung: 2005-04-15 - Stichwort - Sitemap