o. Univ. Prof. Mag. Dr. Georg Grabherr
Institut für Ökologie und Naturschutz
Universität Wien
Wiesenkunde zählt zweifellos zu den attraktivsten Themen, mit denen sich Vegetationsökologen beschäftigen. Es geht dabei nicht nur um eine möglichst genaue Beschreibung von Wiesen und Wiesentypen, sondern auch darum, welche Umweltbedingungen und welche Nutzungsformen die unterschiedlichsten Wiesentypen bestimmen - vom Tiefland bis ins Hochgebirge. Wiesen gibt es überall dort, wo lange und kalte Winter einen Futtervorrat für das Vieh bedingen. Sind die Winter milder, kann das Vieh ganzjährig auf der Weide gehalten werden und größere Heumengen sind nicht notwendig. Wiesen, wie wir sie kennen, sind daher weltweit gesehen gar nicht so häufig und auf Gebirgsländer und die kühl-temperaten Gebiete Mittel- und Nordeuropas beschränkt. Klassische Wiesenlandschaften prägen etwa die Täler des Kaukasus, der Alpen und Karpatenländer, der Dinariden, Pyrenäen, der Skanden aber auch die Flachländer des Baltikums und Kareliens. Ausserhalb Europas sind typische Wiesen selten. Weder die Indianerkulturen Amerikas, noch die unterschiedlichen Völker Zentralasiens und des Himalaja kannten ausgeprägte Wiesennutzung. Entweder waren die Täler tief genug, um das Vieh auch im Winter auf Dauerweiden halten zu können oder weiträumige Wanderweidesysteme (als Nomadismus oder Transhumanz) verbanden Winter- und Sommereinstandsgebiete.
Die frühen Bauernkulturen, die vor gut 5.000 Jahren nach Mitteleuropa vordrangen bzw. sich hier entwickelten, trafen auf ein endloses Waldland. Natürliche Wiesen gab es nur entlang großer Flüsse, im Bereich von Lawinenbahnen und im Hochgebirge. Man trieb das Vieh in die Wälder zur Waldweide, drängte den Wald durch Ringeln und Brandrodung weiter zurück bzw. begann schon früh die waldfreien Hochlagen als Sommerweiden zu nutzen. Über den Winter half man sich durch Laubheugewinnung. Dabei wurden die zweijährigen Triebe, vor allem von Eschen und Ulmen, vom Baum geschnitten und getrocknet für den Winter aufbewahrt. Typische Wiesen entwickelten sich vorerst nur langsam und auch erst durch die fortgeschrittene Technik mittels Sicheln und Sensen. Ausgedehntes Wiesenland brachte dann aber erst das Mittelalter bzw. die letzten Jahrhunderte durch zunehmende Spezialisierung der Landwirtschaft. Viele klassische Wiesentypen der Alpenländer, die auch gedüngt wurden und damit 2-3 Schnitte zuließen, entstanden erst nach Aufgabe der Dreifelderwirtschaft vor ca. 150-200 Jahren. Milchwirtschaft in grossem Stil, und damit hoher Futterbedarf für das Vieh, war auch an den Fortschritt in der Käsezubereitung, vor allem jenem der Hartkäseproduktion (besonders Schweiz und Westösterreich) gebunden.
Wiesen haben also eine Geschichte. Dem Bauern ging es dabei zuvorderst um ein möglichst gutes Futter für seine Tiere. Buntheit und Vielfalt entstand nebenbei, da die Wuchsstrategie der Gräser Lücken zulässt, die anderen Arten Raum bieten. Neben den gedüngten Fettwiesen wurden meist auch Magerwiesen für Rossheu oder Kleinviehfutter genutzt. Feuchtwiesen lieferten die Stalleinstreu und waren früher in den Gebieten ohne Getreidestroh sehr begehrt. Was so unter der Hand mehrerer Bauerngenerationen entstand, war ein buntes, vielfältiges Gemisch an Wiesentypen, die alle samt und sonders arten- und blütenreich waren. Bis zu zehn Grasarten und 40 Kräuterarten konnten eine solche Wiese zusammensetzen. Auch die am intensivsten genutzten Futterwiesen, die Glatthaferwiesen, beherbergten gut und gern bis zu 30 Arten. Mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt hat sich dieses Bild in den letzten Jahren dramatisch verändert.
Die moderne Futterwiese ist ein Ausdruck einer verbesserten Erntetechnik, einer verbesserten Kenntnis betreffend Futterwert und schließlich die Antwort auf die enorme züchterische Entwicklung der letzten Jahre. Die moderne Kuh kann ohne entsprechendes, energiereiches Futter die potentielle Leistung nicht bringen. Dies kann die moderne Silagewiese bieten, die mehr als nur zwei- bis dreimal jährlich gemäht wird, und bei der das Gras bereits vor der Blüte genutzt wird. Die Silierung verringert den Ernteverlust und garantiert einen hohen Eiweißgehalt. Der häufigen Mahd und Düngung widerstehen aber nur wenige austriebsstarke Gräser und kräftige Kräuter wie Löwenzahn und Ampfer. Die modernen Wiesen sind im wahrsten Sinn des Wortes artenarmes Grünland, das zwar die Ansprüche der Hochleistungstiere an das Futter befriedigt, aber viel von seiner biologischen Vielfalt verloren hat.
Die Frage, die sich heute stellt, ist, ob es Wege gibt, eine Landwirtschaft zu definieren, die beides unter einen Hut bringt, das heißt, nachhaltige Sicherung der biologischen Vielfalt und des wirtschaftlichen Erfolges. Dazu eine kleine Wiesenkunde für den Wienerwald. Dessen Besonderheit liegt vor allem im Übergangscharakter vom subozeanischen Alpenrandklima zum pannonischen Trockenklima. Es sind vor allem die Halbtrockenwiesen vom Typ Trespenwiese, die als erstes zu nennen sind. Typisch ausgeprägt findet man die bunten, artenreichen Wiesen vor allem auf den trockeneren Oberhängen oder auf Südhängen sowohl des Flysch- als auch des Kalk-Wienerwaldes. Auf Felsköpfen oder über geringmächtigen Bodenauflagen zieren die noch extremeren Federgrassteppen die Landschaft. Küchenschellen, Adonisröschen und Zwerg-Schwertlilien schaffen hier einen einmaligen Frühjahrsaspekt. Je nachdem, ob der Sommer trocken oder regenreicher war und ist, kann die Trespenwiese einmal oder zweimal gemäht werden. Bei Düngung geht sie rasch in die Glatthaferwiese über, die allerdings mehr Feuchtigkeit beansprucht. Bei noch mehr Feuchte kommt es zur Ausbildung der Kohldistelwiese. Nasswiesen, die früher einmal im Tullnerfeld oder in der Feuchten Ebene vorherrschten und wichtige Heulieferanten für die vielen Pferde der Stadt Wien waren, sind heute auf wenige Stellen beschränkt, tragen aber wesentlich zur Vielfalt bei und beherbergen eine Reihe von Raritäten. In den hohen Lagen des Wienerwaldes kommt der Goldhafer zur Vorherrschaft. Die Goldhaferwiesen sind keineswegs weniger bunt und vielfältig als die Wiesentypen der tieferen Lagen.
Wie aber bereits betont wurde: Dieses bunte Bild ist vielfach modernem Grünland gewichen oder es sind die Wiesen verbuscht. Es dauert ca. 30 Jahre bis meterhohes Gebüsch auch die letzten Wiesenzeiger verdrängt hat. Nach 100 Jahren kann man von Wald sprechen. Erwähnt muss auch werden, dass viele Wiesen heute anstelle von Äckern getreten sind und ein Hin und Her zwischen Wiese und Acker immer ein Wesensmerkmal der Kulturlandschaft des Wienerwaldes war. In Notzeiten wurden auch weniger gut geeignete Flächen mit Getreide oder Feldfrüchten bebaut, die später wieder zu Wiesen wurden. Das Wiesenland des Wienerwaldes war immer einer dynamischen Entwicklung unterworfen.
Wo stehen wir heute?
Die Umwandlung in „Hochleistungsgrünland“ hat im Wienerwald vor allem jene Gebiete erfasst, in denen schwerpunktmäßig Viehhaltung betrieben wird. In den Gebieten mit Mischbetrieben (Weinbau, Ackerbau), das heißt vor allem in den Randgebieten, wurde die Viehhaltung vielfach aufgegeben und damit auch die Wiesen, welche zunehmend verbuschen. Mit den vielen Pferdehaltern haben manche dieser Betriebe aber auch neue Abnehmer für ihr Wiesenheu gefunden. Resultat ist, dass vor allem hier der Druck zu intensivieren geringer ist, und sich - zwar reduziert, aber doch - die gesamte klassische Palette der Wienerwaldwiesen geradezu „lupenrein“ erhalten hat. Dazu kommen „Jägerwiesen“, die als Äsungsgrund gepflegt werden, die schon erwähnten „Freizeitwiesen“ im Nahbereich der Stadt und noch die eine oder andere Hutweide, die ebenfalls zu den Spezialitäten des Wienerwaldes zählen. An dieser Stelle sei klargestellt, dass Weide nicht Wiese ist und die Beweidung von Wiesen auch durch noch so „grüne“ Weidetiere wie Hochlandrinder oder Schafe die Mahd nicht ersetzen kann. Der Artenbestand stellt sich durch Beweidung um, die Wiese verliert zwar nicht zwangsläufig ihre Vielfalt, wohl aber ihre Buntheit.
Die Wienerwaldwiesen zählen aus biologisch-ökologischer Sicht zu den besten Europas. Das hohe gesellschaftliche Interesse zeigt sich darin, dass klassisches Wiesenland zu den Lebensräumen von europäisch gemeinschaftlichem Interesse zählt. Dies gilt im Besonderen für orchideenreiche Trespenwiesen. Und hier hat der Wienerwald Einiges zu bieten. Neben der fast vollständigen Palette der in Österreich vorkommenden Knabenkräuter sind die Wiesen und Weiden Lebensraum von Raritäten wie Bockswurz (oder Riemenzunge), den Insektenorchideen, den Drehwurz- und Sumpfwurzarten. Um es kurz zu halten, die Wienerwaldwiesen sind ein Raritätenkabinett ersten Ranges. Das heißt, neben der einmalig reizvollen Landschaft, zu der auch der noch weitgehend naturnahe Wald zählt, neben der Vielfalt an Wiesentypen und Weiden, zählt auch der Aspekt der Sicherung eines einmaligen Artenbestandes zu den wichtigen Zielen einer nachhaltigen Entwicklung des Wienerwaldes. Aber bei keiner anderen Komponente ist die Kooperation mit dem Bauernstand so wichtig. Dabei gilt es allerdings, die Vielfalt an Möglichkeiten kreativ zu nutzen. Der Bauer muss Wiesenmeister werden, der auch den biologisch-ökologischen Aspekt versteht und respektiert. Auf der anderen Seite muss die Gesellschaft bereit sein, wissensgestützte Akzeptanz der Landwirtschaft zu entwickeln und Produkte aus nachhaltiger, multifunktioneller Landwirtschaft bewusst der Massenware vorziehen. Abgeltungen für gezielte, betrieblich integrierte Pflegeleistungen müssen langfristig gesichert sein und dürfen nicht in Frage gestellt werden. Mit der Planung eines Biosphärenparks Wienerwald ist zweifellos der richtige Weg beschritten. Es soll eine Modellregion entstehen und damit gezeigt werden, wie eine der reizvollsten Kulturlandschaften Österreichs, geprägt durch das Markenzeichen Wienerwaldwiese, nachhaltig entwickelt werden kann. Schöne, artenreiche Wiesen im Wienerwald waren eine Selbstverständlichkeit. Tun wir alles, damit es wieder so wird.
Weiterführende Literatur:
Dietl W. & Jorquera M. (2003); Wiesen- und Alpenpflanzen. Österreichischer Agrarverlag; Leopoldsdorf.
Dietl W., Lehmann J. & Jorquera M. (1998); Wiesengräser. Landwirtschaftliche Lehrmittelzentrale; Zollikofen, Schweiz.
Ellenberg H. (1996); Vegetation Mitteleuropas mit den Alpen, 5. Auflage. Ulmer; Stuttgart.
Mucina L., Grabherr G. & Ellmauer T. (1993); Die Pflanzengesellschaften Österreichs, Teil I, Anthropogene Vegetation. Fischer; Jena, Stuttgart, New York.
* Beitrag zur Netzwerk Wienerwald - Tagung „Schutz und Pflege der Wienerwaldwiesen 2004“ am 6. Mai 2004 in Purkersdorf.
Alle Fotos stammen von Dieter Armerding.