Purkersdorf Online

Turboschub für die Globalisierung


Vor kurzem wurde in der Zeitschrift "Falter" ein Artikel von Christian Felber (ATTAC) über die geheimen Liberalisierungs-Wünsche der EU veröffentlicht, welche auch für die Gemeinden von größter Bedeutung werden könnten:

Das Dienstleistungsabkommen der WTO setzt weltweit Universitäten, Wasserversorgung, öffentlichen Verkehr, Post und das Gesundheitssystem unter Privatisierungsdruck. Jetzt sind die geheimen Liberalisierungs-Wünsche der EU durchgesickert.

Wenn es nach dem Willen der EU-Kommission gegangen wäre, könnte dieser Artikel nicht geschrieben werden, denn die Aufforderungen der EU an die 140 WTO-Mitglieder zur Liberalisierung von Dienstleistungssektoren "können und werden nicht öffentlich gemacht werden", hieß es gegenüber globalisierungskritischen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Jetzt ist der Entwurf der EU-Forderungsliste an ihre wichtigsten Handelspartner durchgesickert - und hat alle Befürchtungen von GATSwatch, Friends of the Earth, ATTAC und Co. übertroffen.

Zur Vorgeschichte

1995 wurde beim Start der Welthandelsorganisation WTO auch der Grundstein für die weltweite Liberalisierung der Dienstleistungen gelegt - in Gestalt des Allgemeinen Abkommens über den Handel mit Dienstleistungen, englisch GATS. Der große Liberalisierungsschub steht durch die angelaufenen GATS 2000-Verhandlungen jetzt bevor. In einer ersten Phase - bis Juni dieses Jahres - fordern alle WTO-Mitglieder die jeweils anderen auf, bestimmte Dienstleistungs-Sektoren zu liberalisieren ("requests"). In der zweiten Phase - bis März 2003 - müssen die WTO-Mitglieder dann jene Dienstleistungsbereiche benennen, die sie selbst der globalen Konkurrenz öffnen werden ("offers"). Verhandelt wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit - "um die Themen nicht zu zerreden", wie es Österreichs Chefverhandler Josef Mayer vom Wirtschaftsministerium begründet.

Öffentliche Dienste in Gefahr

Nach dem Durchsickern des EU-Dokuments schlagen jetzt NGOs weltweit Alarm: Denn entgegen wiederholter Beteuerungen des WTO-Sekretariats, öffentliche Dienste aus dem GATS draußen zu lassen, sind sie in der EU-Position dicht gedrängt: Wasserversorgung, der gesamte Energiesektor, Abwasser- und Abfallbehandlung, Teilbereiche des Transports, Post, Umweltschutz. Indische NGOs bezeichnen das EU-Papier als "frontale Attacke gegen die indische Verfassung". Sektionschef Mayer schwächt ab: "Man kann ja mit einem ambitioniertem Forderungskatalog beginnen." Die NGO GATSwatch, der das Geheim-Dokument zugespielt wurde, erwartet, dass andere Länder mit ähnlich "ambitionierten" Forderungen an die EU herantreten werden. ÖGB-Volkswirt Ernst Tüchler sieht "alle öffentlichen Dienste in Österreich in Gefahr, inklusive Sozialversicherungen und Wasserversorgung". Der ÖH-Referent für Internationales, Lukas Oberndorfer, befürchtet durch das GATS "eine Beschleunigung der Kommerzialisierung des Bildungssystems". Chefverhandler Mayer sieht keinen Grund zur Panik: "Jedes Land hat die Möglichkeit, bestimmte Sektoren aus seiner Verpflichtungsliste auszunehmen." Ob er die Bildung und die Wasserversorgung ausnehmen werde? "Uns ist kein Kinder lieber als ein anderes."

Der Betriebswirt Bernhard Mark-Ungericht von der Universität Graz verweist auf die bisherigen "Liberalisierungserfolge" bei öffentlichen Diensten. In Großbritannien seien die Wasserpreise nach der Privatisierung um knapp 50 Prozent gestiegen. Bis zu 19.000 Haushalten wurde der sprichwörtliche Wasserhahn abgedreht, weil sie die Rechnungen nicht bezahlen konnten. Die privaten Wasserversorger hätten die Infrastruktur so vernachlässigt, dass die Wasserqualität gesunken und die Hepatitis A-Fälle um 200 Prozent gestiegen seien. Ähnlich haarsträubende Ergebnisse hätten die Strommarktliberalisierung in Kalifornien, die Privatisierung des Pensionssystems in Chile und die des Gesundheitssystems in Großbritannien gebracht. Die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Ulrike Lunacek, steht einer Privatisierung öffentlicher Dienste daher "kritisch bis ablehnend" gegenüber. Für Umweltstadträtin Isabella Kossina ist das GATS zwar kein Begriff, sie betont aber, dass die öffentliche Wasserversorgung in Wien durch die Landesverfassung abgesichert sei. Im Büro von Bürgermeister Michael Häupl hat man vom GATS ebenfalls "noch nichts gehört", Pressesprecher Christoph Ronge ist jedoch zuversichtlich, "Privatisierungsangriffe auf den öffentlichen Personen-Nahverkehr oder die Wasserversorgung gemeinsam mit anderen Städten und Ländern abwehren zu können." Die globalisierungskritischen NGOs fordern eine generelle Ausnahme der öffentlichen Dienste aus den GATS-Verhandlungen. Chefverhandler Mayer versteht das nicht: "Wichtig ist eine gute Versorgung der österreichischen Bevölkerung, egal ob von öffentlichen oder privaten Anbietern."

Wer gewinnt?

Der ehemalige Direktor der GATS-Abteilung im WTO-Sekretariat, David Hartridge, erklärt den Hintergrund intHinHintergrund des Abkommens: "Ohne den enormen Druck der amerikanischen Finanzdienstleistungsindustrie, insbesondere von Firmen wie American Express oder Citicorp, hätte es kein Dienstleistungsabkommen gegeben." Nicht nur Banken und Versicherungen sind die Gewinner: Die Weltbank schätzt den weltweiten Markt für Wasserversorgung auf jährlich 800 Milliarden Dollar, den für Bildung auf 2000 Milliarden Dollar und jenen für Gesundheitsdienstleistungen auf 3500 Milliarden Dollar.

NGO-Kampagne

Globalisierungskritische NGOs - von ATTAC über Friends of the Earth bis zum World Development Movement - machen jetzt gemeinsam mit Gewerkschaften, ÖH, kritischen SchülerInnen und kirchlichen Gruppen gegen das GATS mobil. Sie fordern einen Verhandlungsstopp, bis die Auswirkungen des Abkommens auf die armen Länder und auf die Regulierungsfähigkeit von Nationalstaaten unabhängig geprüft sind. Lunacek schließt sich dieser Forderung an und weist die Aussage Mayers, dass das Parlament "laufend informiert" werde, zurück: "Das stimmt so nicht. Es kommt täglich ein halber Meter EU-Dokumente, aber es gib weder eine gezielte Befassung der Abgeordneten noch werden wir über die Position der österreichischen Regierung informiert."

Das heißt, dass die Auswahl derjenigen Bereiche, die Österreich vom GATS ausnehmen wird, der Regierung überlassen bleibt. Während diese jedoch wechseln kann, können es die liberalisierten Dienstleistungssektoren nicht. "Einmal erfolgte Liberalisierungen können im Sinne des Investorenschutzes nicht mehr rückgängig gemacht werden", so Mark-Ungericht. Außerdem verpflichten sich die Unterzeichner des GATS zur permanenten Weiterliberalisierung in allen Bereichen, auch in den bislang noch verschonten.

Das durchgesickerte Geheim-Dokument:
http://www.gatswatch.org/leakannounce.html

GATS-Seite der ÖH:
http://www.oeh.ac.at/oeh/gats

ATTAC Österreich:
www.attac-austria.org


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Letzte Änderung: 2002-05-24 - Stichwort - Sitemap