3 Jahre vor dieser Botswanareise hatte mich ein Missionsaufenthalt nach Namibia, das östliche Nachbarland, geführt. Wir kamen auch in die Etoshapfanne, einen der typischen Nationalparks des südlichen Afrikas. Als ich damals einen VW-Bus lenkte, der bei uns die § 57 a - Überprüfung ein Jahrzehnt lang schon nicht erhalten hätte, setzte gerade in dem Moment der Motor aus, als ein Elefantenbulle unseren Weg kreuzte. Diese Szene habe ich als nettes Detail eines Ausfluges in die Wildnis in Erinnerung, wobei nie Angstgefühle in mir hoch kamen. Wir befanden uns doch in einem fahrbaren Untersatz. Lediglich unsere beiden schwarzen Ordensschwestern in der letzten Sitzreihe begannen zu schreien. Wir Europäer (-) hatten die Situation fest im Griff, starteten wieder und ließen unseren Afrikaplänen freien Lauf.
Selbstverständlich hatte ich eine realistische Vorstellung vom Campleben in der "freien Natur" in Botswana, teilweise ohne Campingplatz, wie es im Prospekt stand; ich erkundigte mich auch nachhaltig, ob diese Reiseform nicht doch nur für richtige Abenteurer geeignet wäre. Ich wurde beruhigt, verglich die zukünftige Situation mit Zeltlagern im Monumentvalley, USA, wo uns auch nur eine Plastiktoilette und keine Tropfen Fließwasser zur Verfügung standen und war´s zufrieden.
Nachdem ich mich mit den neuen lebensnotwendigen Vorkehrungen der Nächte in Botswana (bei Löschen des Lagerfeuers in Löwengebiet die Zelte nicht mehr zu verlassen; bei Pirschfahrten immer im Unimog zu bleiben usw.) gut angefreundet hatte, sah ich diese Tour als durchaus machbar an.Vorsicht mußte man immer walten lassen und die Ratschläge unseres 22-jährigen Giudes Niel aus Südafrka, lang erprobt in Fahrten durch diverse Nationalparks, als realistisch und unbedingt zu befolgen annehmen. Ich fühlte mich bald wohl und träumte nicht mehr, daß vor meinem Zelt eine Raubkatze einen unserer Burschen verfolgte, nachdem er seine Notdurft außerhalb der sicheren Behausung verrichtet hatte (Männer können hiefür auch eine Coladose im Zelt verwenden).
Nachdem wir erfolgreich Savuti und Moremi, die beiden bekannten Nationalparks Botswanas durchforstet hatten und frühmorgens immer wieder Elefantenspuren 5 m vor unseren Zelten gefunden hatten, fuhren wir ins Okavangodelta. Dort stand eine 4-stündige Fußwanderung auf einer der zahlreichen Inselchen auf dem Programm. Um 7 h machten wir uns mit Mokoros, einbaumartigen Ruderbooten, auf den Weg, die unberührte Natur zu erforschen. Wir spazierten durch die Steppe und sahen aus der Ferne Elefantenherden mit ihren Jungen. Wir wateten barfuß durch Untiefen und genossen einige Stunden Unbeschwertheit.
Als wir jedoch nach 3 ¾ Stunden Wanderung zu unseren Booten zurückkehrten, versperrte uns ein Elefantenbulle den Weg. Er äste gemütlich am Wegesrand, ca. 20 m von unserer 12-köpfigen Gruppe entfernt. Unser einheimischer schwarzer Führer gebot Einhalt.
Bisher war ich bei solchen Situation immer fluchtbereit gewesen, i. e. stand am Ende der Gruppe, beobachtete das Verhalten des Guides genau und reagierte prompt auf die geringsten seiner Anweisungen. Am Abend zuvor hatte Niel jedoch verlautbaren lassen, ein Elefant allein stelle kaum eine Gefahr dar; man müsse lediglich laut mit den Händen klatschen, sodaß er glaube, eine größere Macht stünde vor ihm (Elefanten sehen nur auf kurze Distanz); dann suche er schon das Weite. Auf keinen Fall dürfe man die Flucht ergreifen, sonst würde man seinen Jagdinstinkt wecken. Meistens ist der erste Angriff ein sogenannte "Scheinangriff"", um die Gefahr zu bannen; ist man als Mensch dann nicht unsichtbar, ist man seines Lebens nicht mehr sicher.
Mit diesen Worten in meinen Ohren stand ich im ersten Drittel (!) der Gruppe, abwartend, nicht wohl in meiner Haut. Mein Gefühl, rein instinktiv, sagte mir:"Gehe nicht weiter, eher zurück; lasse dem Elefanten den Vortritt, es ist sein Revier". Alle standen und warteten völlig still auf das, was kommen würde. Hie und da ein Klick der Kameras. Was ich nicht sehen konnte, war das lautlose Verschwinden eines der einheimischen Bootsmänner aus unserer Gruppe in halbmannshohes Steppengras, die Schuhe in der Hand, um besser laufen zu können...
Der Elefant stand da, sah in unsere Richtung, witterte und dreht nach kurzer Zeit den Rücken zu uns, ohne sich von der Stelle zu bewegen. Unsere Guide aus Botswana interpretierte dies als Zeichen eines Desinteresses und bedeutete uns den Weitermarsch. Wir setzten den Fuß vor den anderen, was der Bulle registrierte, sich uns zuwandte und anvisierte. Wir blieben wie angewurzelt stehen und warteten auf eine Anweisung unseres Guides. Doch es kam keine. Indes setzte sich der Elefant in unsere Richtung in Bewegung. Mir stockte der Atem. Die letzten der Gruppe wurden unruhig. Der Bulle begann mit den Ohren zu flattern, was Alarm bedeutet. Er kam weiter auf uns zu. "Auf keinen Fall fliehen!" hämmerte es in meinem Kopf - dann soll doch wer klatschen! Der Guide bedeutete Stillstehen. Er klatschte in die Hände. Einmal, zweimal, zu leise zum Verscheuchen. Niemand stimmte ein, wir wollten doch nichts falsch machen. Und der graue Riese kam immer näher. Der Befehl des Guides "Don´t run!" verwandelte sich am Ende der Gruppe in ein "Run, run!" Die Gruppe zerfiel. Der Elefant begann auch zu laufen, noch 10 m entfernt. Ich beginne auch nach hinten zu laufen, Leute versperren mir den Weg; der Elefant beginnt zu trompeten, wedelt weit mit den Ohren, eine graue Wand erwächst hinter uns. Die letzten der Gruppe sind schon "untergetaucht"; uns "ersten" bleibt der Weg ins Dornengestrüpp, wo wir reglos verharren. Meine Gedanken kreisen um den Fall, daß der Elefant auf das Gestrüpp zukommt; krieche ich dann wie eine Eidechse weiter? Wir lauschen. Es ist noch immer Schnaufen und Knacken zu hören. Er geht weiter auf uns zu! Ade, liebe Mama, liebster Freund, ich leide nicht; ihr seid die Armen; und es ist nicht mal meine Schuld. Sondern nur das Vertrauen...
Dann Stille.
Als erster löst sich unser schwarzer Guide aus der Erstarrung, geht auf einen Spähhügel und gibt nach 2 min das erlösende "Come, he is gone!" bekannt. Ganz trauen wir der Situation nicht. Wartet der Bulle vielleicht ums Eck? Langsam kommen wir aus unseren Verstecken, den ganzen Körper mit 10 cm langen Kratzern übersät. Wir beginnen zu sprechen; ein Mädchen unserer Gruppe hat Tränen in den Augen. Ist es wirklich vorbei?
Nur schnell in die Boote und heim ins sichere Zelt. Dorthin, wo die grauen Riesen in geraumer Entfernung unter den Urwaldbäumen unserem Lagertreiben folgen...
Susanne Wallner, Purkersdorf