Die
menschliche Entwicklung
Einleitung In
vielen Kulturen werden ältere Menschen als die Weisen angesehen
und behandelt. Sie nehmen eine zentrale Stellung in der Gemeinschaft
ein. Bei uns werden ältere Menschen immer öfter an den Rand
der Gesellschaft, in Heime und Krankenanstalten abgedrängt. Viel
gelebte und erlebte Erfahrung, viel Wissen, viele Gefühle und
Geheimnisse gehen damit verloren. Um
diesem Verlust entgegenzuwirken, habe ich ältere
Purkersdorferinnen und Purkersdorfer gebeten, mir ihre
Lebensgeschichten zu erzählen.
Der
vorliegende Text will keine lückenlose Dokumentation und keine
geschlossene Darstellung der Purkersdorfer Geschichte sein. Nicht
alle, die Interessantes zu erzählen haben, kommen vor. Nur ein
Bruchteil dessen, was mir erzählt wurde, ist enthalten. Es
handelt sich um eine kleine Auswahl: an Menschen, an Ereignissen, an
Erinnerungen, an Sichtweisen. Jede Auswahl ist auch ein Weglassen,
ein Auslassen. Dennoch
sind hier äußerst spannende Geschichten versammelt. Sie
vermitteln interessante Einblicke in den Umgang der Menschen mit
ihrem Selbst und mit ihrer Geschichte, in die Purkersdorfer
Alltagsgeschichte, in die Geschichte unseres Landes und in ein
Jahrhundert der Extreme. Sie lassen uns teilhaben an Ereignissen, die
sich in der Vergangenheit zugetragen haben, die aber nicht vergangen
sind. Sie wirken fort durch die ungeheure Bedeutung für die, die
sie erlebt haben. Sie wirken fort durch die Erzählungen
innerhalb der Familien, am Stammtisch, in der Öffentlichkeit.
Sie wirken fort durch die Erzähllücken, das Schweigen,
durch die Tabus und Frageverbote. In
den Erzählungen finden sich auch widersprüchliche
Darstellungen und Einschätzungen ein und derselben Ereignisse.
Widersprüche sagen oft mehr als scheinbare Eindeutigkeiten und
Übereinstimmungen. Das setzt freilich eine kritische Durchsicht
der Texte voraus. Ich
möchte mich recht herzlich bei meinen Gesprächspartnerinnen
und Gesprächspartnern bedanken. Sie haben sich viele Stunden
Zeit genommen, um mir aus ihrem Leben zu erzählen. Sie haben mir
viel Vertrauen und Offenheit entgegengebracht. Ich habe von jeder
Einzelnen und jedem Einzelnen viel gelernt. Die
Herausgabe dieser Lebensgeschichten hat sich aufgrund privater
Umstände verzögert. Aber was wäre Erinnerung,
Gedächtnis und Erzählung ohne Tod und Trauer, vor allem
aber ohne die Liebe! Rupert
Herzog-Löw
bietet zwei Möglichkeiten,
die der Liebe
und die der Macht.
Arno Gruen