Purkersdorf Online

Istanbul


Anschlag Lieber Gerhard,

Seit Samstag Abend es geht mir sehr schlecht. Die Bomben in Istanbul haben auch einen Teil von meiner Kindheit und Jugend ruiniert. Die Fotos, die ich dir sende, sind aus einer Türkischen Zeitung, Milliyet. Unter der Adresse www.milliyet.com.tr kannst du mehrere davon sehen wenn du dafür Nerven hast.

In der Nebengasse habe ich als Kind und als junge Frau gelebt. Neben der Synogoge hat Pepo sein Hutgeschäft gehabt. Als ich drei Jahre alt war, habe ich Pepo kennengelernt. Jetzt lebt Pepo nicht mehr, weil er mit seinen 75 Jahren immer noch arbeiten musste. Er war wie immer in seinem Geschäft. Pepo war auch ein Safaride, aber er war nie in der Synogoge, weil er nicht an irgendeinen Gott sondern an die Menschen geglaubt hat.

Pepo hatte oft kurze Aufenthalte in Türkischen Gefängnissen, weil er Friede und Demokratie in seinem Land wollte. Pepo war eine echter Mensch. Istanbul war sein Stadt. Er hiess nicht Ali oder Ahmet, aber er war mehr Türke als die Alis und Mehmets. Als die Imperialisten Istanbul okkupiert haben, hat Pepos Papa am Türkischen Widerstand teilgenommen und gekämpft. Leider durfte er die Türkische Republik nicht erleben, er wurde umgebracht. Als die Türkischen Faschisten in Istanbul alle Geschäfte und Wohnungen von nicht-islamischen Mitbürgern ruiniert haben, wurde Pepos Geschäft auch ruiniert. Meine Großmama hat ihn gerettet, weil sie einfach Nachbarn waren.

Er war ein ruhiger alter Mann. Seine Frau war eine Armenische Istanbulerin. Sie konnte den besten Türkischen Kaffee in Istanbul kochen. Sie lebt nicht mehr. Zum Glück ist ihr diese Schande erspart geblieben. Sie haben nur einen Sohn gehabt und ihn CAN genannt. Can ist ein Türkischer Name. Can bedeutet: Ein Wesen zwischen Seele und Geist.

In dem Bezirk haben alle möglichen Minderheiten von Istanbul bunt gemischt gelebt. Wir (ganz gewöhnliche Türken mit Safaridischen oder Armenischen oder Römischen Großmamas und Türkischen Großpapas) waren die Mehrheit. Es war uns nicht bewußt, dass wir die Mehrheit waren, außerdem es war uns egal. Wir haben unsere Bücher von Zare gekauft. Unser Taschengeld war genug, um Yorgos Börek zu essen. Alle Buben ware verliebt in Eftalyas blaue Augen und wir Mädchen waren sehr gemein zu Marika, weil sie wunderschöne blonde Haare gehabt hat.

400 kg Sprengstoff ist explodiert.
400 kg Sprengstoff hat meine Kindheit in die Luft gejagt.

Passantin

Jetzt sitzt mein Körper in Purkersdorf und meine Seele ist längst in Istanbul. In der Asche sitzen wir jetzt. Ich, mein alter Freund Pepo und Zare. Wir unterhalten uns. Pepo erzäht wieder in aller Ruhe und wir hören unsere Geschichte von Pepo.
Wir lernen, wer wir sind von Pepo.
Wir lernen trotz allem das Leben lieben.
Trotz allem die Lust auf das Leben nie verlieren, immer wieder von Null anfangen können.
Die Menschen lieben und nicht besitzen wollen.
Wir lernen von Pepo aus der Asche Grünes Lebendiges machen.
Jetzt liegen Pepo und Zare und viele andere in der Asche.

Die warten, dass wir endlich das, was wir gelernt haben tun. Realistisch sein und das Unmögliche wünschen. Kurz gesagt, sagt uns diese Ruine noch einmal "Lebe endlich". Lebe heute, jetzt und da, wie ein Mensch mit der Würde und Weisheit einer Eiche.

Emel

Aufräumungsarbeiten

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Letzte Änderung: 2003-11-18 - Stichwort - Sitemap