Die Präsentation des Buches von Dr. Rupert Herzog-Löw über die Lebensgeschichten von sechs Purkersdorfer Frauen und vier Purkersdorfer Männern war in mehrfacher Hinsicht ein überaus spannendes Ereignis.
Beeindruckend war
dabei zunächst vor allem die Tatsache, dass bei der Veranstaltung sieben (!)
der noch acht lebenden ZeitzeugInnen persönlich anwesend waren und somit
eindrucksvoll ihre Anerkennung für die umfangreiche Arbeit des Historikers und
Herausgebers Rupert Herzog-Löw dokumentierten. Zusätzlich war die Veranstaltung
mit 70 BesucherInnen eine für Purkersdorfer Verhältnisse äußerst gut besuchte
Veranstaltung, welche auch durch das große Interesse von Zeitungen und
Lokalfernsehen unterstrichen wurde. Und letztlich zeigte sich, dass die
Veranstaltung auch den politischen Repräsentanten ein großes Anliegen war:
Bürgermeister Mag. Karl Schlögl übernahm die inhaltliche Begrüßung,
Vizebürgermeister Dr. Rudolf Toifl leitete die Moderation, die Gemeinderäte der
Liste Baum (Dr. Parzer, Marga Schmidl und Dr. Ingo Riss) waren nahezu
vollständig anwesend und zahlreiche weitere Gemeinderäte dokumentierten ihr
Interesse durch Anwesenheit, aber auch bereits in den Vorarbeiten (insbesondere
GR Lydia Mondl!). Helmut Tschellnig leistete an diesem Abend durch seine
gelungene Auswahl und Präsentation einzelner Kurzbeiträge eine gute Vorleistung
zur größeren Verbreitung dieser Lektüre.
Mag. Karl Schlögl verwies in seiner Einleitung auf die Schnelllebigkeit unserer Zeit, welche in diesem Buch eindrucksvoll zur Geltung kommt. Wenn man die Erzählungen dieser Zeitzeugen von vor 'nur' 50 Jahren hört und liest, so glaubt man sich nur allzu oft in eine andere Welt versetzt. In einem Nebensatz erwähnte Schlögl auch, dass es bei der Entstehungsgeschichte des Buches eine "etwas kontroverse Diskussion" gegeben hat. Diese Geschichte ist eine tatsächlich nicht ganz widerspruchsfreie und kann auf www.purkersdorf-online.at (Stichwort: Herzog-Löw) gut nachvollzogen werden. Dort findet man z.B. folgende Information: "Wie Sie vielleicht den letzten "Purkersdorfer Informationen" entnommen haben, startet die Grüne-Liste Baum die Initiative "Gelebte Geschichte Purkersdorfs". Da eine Unterstützung durch die Gemeinde von der Frau Bürgermeisterin (Eripek; W.A.) mit der Begründung, "kein Bedarf", abgelehnt wurde, nehmen wir nun die Sache selbst in die Hand und haben den Purkersdorfer Zeitgeschichtler Dr. Herzog-Löw dafür gewonnen, ältere MitbürgerInnen zu interviewen. - Spenden bitte dafür ebenfalls unter Stichwort "Gelebte Geschichte" auf das Konto Nr. 619 179 401 bei der Bank Austria, BLZ 20151."
Erst drei Jahre danach, in der Gemeinderatssitzung vom 26. September 2001, hatte "nach endlos langen Debatten" der GR einen Druckkostenbeitrag beschlossen. Auch der Ankauf etlicher Exemplare wurde beschlossen. Dennoch lag das Projekt aus verschiedenen Gründen noch weitere drei Jahre auf Eis, bis 2004 die Publikation (insbesondere Dank Maria Parzer, Lydia Mondl und Roswitha Gutmann) endgültig möglich gemacht wurde. Warum dieser lange Weg? Warum diese 'kontroverse' Diskussion? Warum sechs Jahre Anlaufzeit?
Die Antwort dazu kann eigentlich nur das Buch selbst geben. Wie Dr. Herzog-Löw sowohl bei seiner Vorstellung als auch im Buch selbst betont, so handelt es sich bei all diesen erzählten Lebensgeschichten ("oral history") um subjektive und somit auch häufig widersprüchliche Darstellungen und Einschätzungen ein und derselben Ereignisse. Der Text kann somit auch keine Dokumentation der Purkersdorfer Geschichte sein, aber der Text "vermittelt interessante Einblicke in den Umgang der Menschen mit ihrem Selbst und mit ihrer Geschichte, in die Purkersdorfer Alltagsgeschichte, in die Geschichte unseres Landes und in ein Jahrhundert der Extreme. Sie lassen uns teilhaben an Ereignissen, die sich in der Vergangenheit zugetragen haben, die aber nicht vergangen sind. Sie wirken fort durch die ungeheure Bedeutung für die, die sie erlebt haben. Sie wirken fort durch die Erzählungen innerhalb der Familien, am Stammtisch, in der Öffentlichkeit. Sie wirken fort durch die Erzähllücken, das Schweigen, durch die Tabus und Frageverbote."
Und genau dieser Aspekt macht das Lesen des Buches so faszinierend! Es gehört eine gehörige Portion Mut dazu, dass man so manch "kritischen" Momente seines Lebens öffentlich macht. Dies erfordert zunächst ein sehr großes Vertrauen gegenüber dem Herausgeber, aber darüber hinaus auch gegenüber all seinen Mitmenschen. Und es bleibt interessant und faszinierend, mit welchen Ereignissen diese Menschen, insbesondere die sechs Frauen, in ihrem Leben konfrontiert wurden und welche Lösungswege sie dabei gefunden haben. Besonders die Erlebnisse während dem Ständestaat, dem NS-Regime sowie während der Besatzungszeit lassen den Leser/die Leserin des Öfteren erblassen. All diesen ZeitzeugInnen kann - wie Herzog-Löw es auch gemacht hat - nur größter Dank und Respekt für ihre Erzählungen ausgesprochen werden. Ich selbst hatte einen Vater (Jg. 1924), mit welchem ich es leider nie schaffte, über seine konkreten Erlebnisse in diesen äußerst schwierigen Zeiten zu sprechen. Erst als mir meine Mutter das Tagebuch von Vaters Erlebnissen 1943-45 vorlas, begann ich etwas besser - aber noch immer viel zu wenig - zu verstehen. Oder - wie einer der Zeitzeugen meint: "Die Zeit um 1945, die Bewältigung: Das erfasst bis jetzt noch keiner. Die einen trauen sich nicht reden und die anderen trauen sich nichts zu tun." Dieses Buch hilft beiden und ist somit ein wichtiger Beitrag um aus unserer Geschichte lernen zu können!
In diesem Sinne kann ich nur hoffen, dass dieses wertvolle Buch sowohl in Purkersdorf selbst, aber insbesondere in den Geschichtestunden an den Schulen Purkersdorfs ein großes Lesepublikum finden und zahlreiche Diskussionen anregen wird. Von der Stadtgemeinde wäre zu wünschen, dass der (vertraglich fixierte) Ankauf von 65 Exemplaren auch möglichst bald realisiert wird und die Exemplare an Purkersdorfs Bibliothek und Schulen weite Verbreitung finden. Darüber wäre es letztlich aber auch wertvoll und erstrebenswert, wenn - gerade wegen der guten Aufnahme des Buches - weitere Projekte zur Erforschung und Aufarbeitung der Purkersdorfer Geschichte - insbesondere jene der schwierigen Zeiten von Ständestaat, NS-Herrschaft und Besatzungszeit - unterstützt, gefördert und initiiert werden würden! Wir könnten alle von einer derartigen Aufarbeitung noch sehr viel lernen!
Dr. Wilfried Altzinger
PS: Kommende Woche (14.-20.6.2004) wird (zu jeder geraden Stunde um xx 06h; also z.B. 20 06h, 22 06h, etc.) auf N 1 ein Kurzbeitrag zu diesem gelungenen Abend zu sehen sein.