1. August 2001, 18 h
In Irkutsk besteigen wir den Zug in Richtung Ulaan Bataar, Mongolei. Unsere Gruppe wird auf 2 Waggons verteilt, in 5 Abteile zu je 4 Personen. Tradiert wird, daß Touristen immer im ersten oder letzten Waggon logieren, welche für diese Zwecke ausgerichtet sind. Doch es gibt eben Änderungen und so erhalten 16 Personen ihr wohliges Plätzchen im Touristenwaggon mit Zugbegleiterin, welche Touristen "verstehen" kann und wir - Reiseleiter, unser 19-Jähriger, mein Reisebegleiter und ich - ein Abteil im "normalen" Waggon für einheimische Reisende. Dieser unterscheidet sich durch Zugbegleiter, die schon gar nicht Englisch verstehen und auf Fragen sehr kurz angebunden reagieren. Außerdem kümmern sich die Mitreisenden nicht um unser Fremdsein und tun und lassen, was sie immer gewohnt sind. Als ich einsteigen will mit viel schwerem Gepäck, steht breibeinig ein Russe in der Tür, der keinen cm weichen würde. Also wartet man, um keinen Ärger zu schüren.
Um 5.20 h sollten wir ins Abteil unserer Gruppe wechseln, das stehe dann geräumt bereit. Als wir losfahren, "schaut unser Reiseleiter im anderen Waggon nach", wie es um unser neues Abteil steht. Siehe da, es ist sowieso frei und wir können schon umziehen! Welche Mühe wird uns dadurch erspart! Kümmert man sich selbst nicht darum, geht alles nach "Plan". Glücklich vereint, lassen wir die sibirischen Dörfer an uns vorbeiziehen, bis bald die Dunkelheit einsetzt und wir leider vom Ufer des Baikalsees nichts mehr erkennen.
Die Abteile sind nicht geräumig, aber fürs Gepäck findet sich genug Platz; auch ein "Netz" gibt es für die oberen Betten, um nicht herauszufallen sowie einen kleinen Tisch für unsere Nahrung für die nächsten 36 Stunden.
Um 22 h schlafen die ersten ein.
2. August 2001; 5.20 h
Um 5.20 h (welch altbekannter Termin!) werden wir durch Türaufmachen und Geschrei geweckt - es sind hier 2 Schweizerinnen zugestiegen, welche Einlaß in unser Abteil begehren. Die Schaffnerin verweist sie ins Abteil nebenan, welches jedoch ein mongolisches Ehepaar, das Käsehandel betreibt, nicht mit ihnen teilen möchte. Alle Sitzmöglichkeiten sind mit Käseladung voll; die 2 Mädchen haben gültige Reservierungen, eine spricht gut Russisch, doch die Situation läßt sich nicht in den nächsten 3 Minuten klären. Also gehen auch unser Reiseleiter und ich hinzu; der Reiseleiter versucht, Taschen zu verschieben, ich versuche in Russisch zu überzeugen; die Schaffnerin gellt mit Rechtsansprüchen der Mädchen dazwischen... nach 20 min ist der Käsehändler bereit, eine Bank freizumachen, jedoch nicht das dazugehörige Gepäcksabteil; dort liegt eine 50 kg schwere Tasche drin. Mit deftigen Handzeichen und Worten gelingt es nach weiteren 10 min, den rechtmäßigen Platz den Mädchen zur Verfügung zu stellen und wir legen uns schlafen.
Als ich erwache, ist es 10 h. Die Anstrengung der Reise macht sich bemerkbar.
In unserem Abteil beginnt ein Brunch, der sich bis in den Abend hineinzieht; jeder darf von überall kosten; es ist gemütlich.
Um 14 h bleibt der Zug in der Nähe der mongolischen Grenze stehen und unser Waggon wird abgekoppelt, wie angekündigt, 5 h lang in einer Station stehen gelassen. Dies bedeutet etwas Langeweile, da wir uns nicht weiterbewegen; ein WC, das nicht benützbar ist und etwas Auslauf. Für die Notdurft ist die WC-Anlage in der Station vorgesehen; nicht gereinigt,
Wasserpfützen überall, abgesehen vom Gestank... Meine Freundin geht kurz dorthin, kommt heraus und traut ihren Augen nicht: der Waggon ist verschwunden! Ohne Paß und weiterer Kleidung steht sie da am Bahnsteig. Unglaublich! Doch bevor sie noch Wut oder Verzweiflung entwickeln kann, wird von rechts ein Waggon herangeschoben... Gott sei Dank, es ist der unsrige!...
Es werden laufend Züge verschoben; Panzer auf Waggons werden sichtbar und Herden von Ziegen und Schweinen weiden zwischen den 15 Geleisen. Einen Reiter bekommen wir auch zu Gesicht.
An den Zäunen des Bahnhofs finden sich bald Essenshändler ein, die Hähnchen grillen. Eine willkommene Abwechslung zum kalten Nahrungsvorrat.
Um 18 h kommen die ersten Zöllner in den Waggon. Alle Reisenden sollten
anwesend sein, der Waggon wird geschlossen. 2 russische Damen in schicker
Uniform, mit breitkrempiger Kappe, eine mit schwarzen Stiefeln bis zum Knie,
schauen Pässe durch und stempeln diese. Der Reiseleiter muß diverse Formulare
vorzeigen. Das jeweilige Abteil hat dann geräumt zu werden, woraufhin die
zweite Dame mit Hosenanzug und ernster Miene in Nahkampfmanier auf die Betten
hinauf- und wieder herunterspringt, in die Gepäcksabteile leuchtet und höflich
wieder zum Hineintreten auffordert.
Bei den mongolischen Zöllnerinnen läuft es ähnlich ab.
Daraufhin erscheinen diverse Händler: solche mit Geldbündeln in Händen, um vor den Augen der Obrigkeit ihre Tauschgeschäfte abzuwickeln und andere, mit Kannen voll heißen Teigwaren. Alles geht völlig legal vonstatten und jeder scheint zufrieden zu sein.
Und kurz vor Abfahrt erscheinen die neuen Mitreisenden: es sind dies Polen mit Mountainbikes und Kletterausrüstung, welche ins Altai wollen. Die Räder verstellen den letzten begehbaren Platz am Gang. Will man zum Samowar, muß man den Becher oder die koreanische Fertigsuppe an den Nächstlehnenden weiterreichen, der dann unter Aufbietung der Vorsicht, sich nicht zu verbrühen beim Geschaukel im Zug, die Tasse gefüllt zurückreicht.
Alle Passagiere haben Reservierungen, sonst ist nicht garantiert, einen
geeigneten Platz zu
finden. In der 3. Klasse gibt es nur Pritschen zum notdürftigen Ausruhen; die
Ausstattung steigert sich bis in die 1. und weiter in die Touristenklasse.
Deutsche erzählten uns, Teilstrecken mit dem Flugzeug zurücklegen zu müssen, da
die Bahn überfüllt war. Und ungefähr zeitgleich mit uns fuhr in die
entgegengesetzte Richtung, aus Korea kommend, Kim Sung Il im "eigenen Zug" zum
Staatsbesuch nach Moskau.
Kümmern muß man sich, den richtigen Bahnsteig und Zug zu erreichen; muß man
hiefür verbotenerweise Bahngeleise überqueren, so zahlt man als Tourist harte
Dollar Buße (selbstverständlich noch schnell 2 min vor Zugabfahrt, um Debatten
zu sparen) usw....
Die 2. Nacht war leider kurz - schon um 5. 30 h war Tagwache; um 6 h Ankunft in UB, wo der Bahnsteig halbfertig ist und wir zwischen Milchkannen und Baugruben unseren Weg bahnen mußten. Etwas unsicher auf den Beinen durch das lange Geschaukel setzten wir uns ins Taxi.
Ein Abenteuer der Sonderklasse also - der Mythos der Transssibirischen Eisenbahn, eine endlose Fahrt durch Birkenhaine und Steppe hat an Gestalt gewonnen, aber auch an Gefühlen und Erinnerungen. So mancher unserer Gruppe ließ es mit dieser einen erlebnisreichen Beförderung gut sein.
Und wie sieht es mit Deiner/Ihrer Lust aus, so zu reisen?
Susanne Wallner, Purkersdorf