Das Meer.
Wo es nicht erreicht werden kann, tritt es plötzlich als dringlich in Erscheinung.
Das letzte Mal in Form des Atlantik an der Ostküste der USA angesichtig. gar nicht
so bewusst wahrgenommen; es umrundete mich auf der Reise. New York City, dann Kolumbien – Cartagena.
Nicht um zu baden, Gott bewahre, viel zu heiß in der südamerikanischen Sonne!
Es signalisierte Weite und Fremde. Die Fremde, die es in einem Binnenland wie Österreich nicht gibt.
Das Meer.
Um 2020 als Verlust in meinen Horizont zu treten: Aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie kann ich nur erschwert reisen und schon gar nicht ans Meer!
Dabei kann ich das Strandgefühl entbehren – keine Hitze, keine eingeteilten Küstenabschnitte.
Bis dieses Email eintrudelt: Ferienhäuser an der dänischen Westküste, in den Dünen.
Oh ja! Reisen dorthin ist leicht möglich, auch nicht zu weit weg.
Im August 2020 waren alle Ferienhäuser ausgebucht, das Wetter durchwegs heiter bei 21 ° C. Es kommt in meine „bucketlist“ fürs kommende Jahr.
2021: der Traum lebt weiter: im April buche ich ein Haus in Graerup Strand.
Im Juni die letzte Möglichkeit, einen Gutschein für etwaige Reiseverschiebungen zu erhalten – ich bleibe bei der Buchung.
Die Hitze bei uns, schon im Juni an vielen Tagen mehr als 30 °C, treibt mich Richtung Abkühlung…
Das Haus, umrundet von den wilden Dünen mit Grasbewuchs, 10 min vom Strand entfernt.
Nach einer Autofahrt bis Innsbruck, Nachtautozug nach Hamburg und 3 h Autofahrt nach Dänemark steht es vor mir: einfach, ruhig, einsam.
Der Wind bläst mir um die Ohren, der Regen verzieht sich.
Das Meer als Nachbarn!
In Vejers, wo wir den Schlüssel erhalten, regnet es. Doch ich muss das Meer sehen, gleich! Ich gehe zum Ende des Orts, ein Schild „Strand“, die Dünen öffnen sich der Straße –
Mit dem Auto fahren wir dorthin und weiter – zum Meer!
Trotz Regen fahren wir auf den Sand, wo schon mehrere Fahrzeuge parken. Und da tost es auf uns zu, gewaltige Geräusche, Wolkenbänke wälzen sich über den Himmel, die Tropfen von oben und der Seite sammeln sich auf unserer Windschutzscheibe.
Wir sind da! Herrliche Gewalten tun sich vor uns auf.
Aussteigen ist nicht, aber Erleben von der ersten Minute an.
Wir machen, was alle anderen machen. Wir sitzen im Auto und schauen. Hier begegnet uns zum 1. Mal Hygge.
Auch wenn das Thermometer heute nur auf 17 °C klettert, kommen uns Badende mit umgehängten Handtüchern aus dem Meer entgegen. Schnell vorm eigenen Auto umgezogen, ins warme Innere geschlüpft. Musik aufgedreht.
So verbringt man hier Urlaub!
Am nächsten Morgen noch vor dem Frühstück Joggen und Spazieren an unserem Strandteil.
Die Sonne kommt hervor, es ist wärmer, die Wolken werden über den Himmel geblasen. Hunde kommen entgegen, man grüßt und bleibt doch anonym und fast allein.
Der Blick zum Horizont findet keinen Anhaltspunkt. Nach Norden nicht und auch nicht nach Süden. Der Strand: ohne Ende.
Ich muss am Wasser entlang gehen, die Wellen spüren. Teilweise sinke ich im Sand ein. Dann ein kleiner Priel. Und Unmengen an angespülter Meeresfauna und Flora:
Blaue Quallen, schillernd von Schaumkrönchen bedeckt. Miesmuscheln. Wunderbar geformte Steine. Wasserpflanzen.
Um zum Meer zu kommen ist von Land aus der Dünengürtel zu durchschreiten. Der Küstenschutz. Auf und ab. Hier geht es zum Meer hinunter. Der Weg führt zu einem Ständer mit Rettungsring mit Nummer. Diese muss man sich einprägen, so man wieder dort retour möchte.
Die Zugänge zum Meer sind vielfältig.
Jeder Weg zum Meer, ob der von Vejers Strand, Oksbol, Hvide Sande oder anderen Orten ist einzigartig.
Manchmal schlängelt sich eine Zufahrtsstraße vorbei an den hier typischen Vierkanthöfen und mündet in einem kleinen Parkplatz mit Abfalleimer mit Königswappen drauf;
oder der Zugang von der Hauptstraße ist nur zu Fuß erreichbar.
Es gibt auch Lokale mit Parkplatz gleich neben der Hauptstraße, wo man sich stärken, sich frischmachen kann und dann nur mehr die übliche Steigung in den Dünen zu überwinden hat.
Der Blick in einer solchen Steigung führt eigentlich in das Wolkenmeer.
Oftmals ist der breite Weg von Holzstufen gesäumt oder mit Gras unterlegt, um leichter hinaufsteigen zu können.
Aber immer wartet das erste Mal die Überraschung auf den Meeresbesucher: wie wird der Strand sich darbieten?
Ist er breit wie in Blavand oder mündet er gleich in einen Bunker auf Meeresniveau wie in Sondervig, einem Rest des Transatlantikwalls des 2. Weltkriegs?
An dem Meer zugewandten Fuße der Dünenwand sind in gewissen Abständen zwischen den Stehern mit den Rettungsringen Steher angebracht mit einer fortlaufenden Nummer. Dies vermittelt eine gewisse Struktur in dieser tosenden Wildnis.
Von der Spitze des Leuchtturms aus in Blavand sehe ich die unendliche Küste. Soo breit und so sanft in der Nachmittagssonne. Das Meer glitzert. Gelb-Blau-Grün. Es ist der westlichste Punkt Dänemarks.
Rechts blaue Wellen, welche, unterbrochen durch den Strandstreifen, in die gelben Wellen der Dünen übergehen.
Es ist Niedrigwasser und 5 kleine Inselbänke sind zu sehen. Die Möwen haben sie schon in Besitz genommen. Auch die Strandbesucher*innen stapfen schon dort herum.
Wieder am Boden begebe ich mich umgehend an diesen Strand und suche die schmalste Stelle, um nackten Fußes einen der Sandstreifen zu erreichen. Wunderbar! Es ist nicht kalt und man kann im Sand herumgraben, Muscheln suchen.
Wieder zurück an Land üben sich 6 Menschen im Synchron-Lenkdrachenfliegen. Wunderbare Farben schwirren in einer Choreographie durch die Luft. Sie eine Stunde lang gebannt im Wind zu beobachten fällt leicht.
Der Lyngvigfyr, nördlich von Hvide Sande, einem Surfer-Paradies, dient uns als Ankerpunkt für ein frühes Frühstück um 6.15 h.
Er steht auf einer 17 m hohen Düne von Holmsland Klit und wird abends für den Sport des „Abseilens“ genützt. Der Augenblick, an welchem man das schützende Geländer in 38 m Höhe überwindet, um sich am Seil hinabzulassen, ist sicher der Prickelndste.
Von diesem Leuchtturm kann man auf den Fjord rechts der Straße hinunterblicken. Der Landstreifen zwischen den Meer und Fjord ist hier nur 1,6 km breit.
Wasser von beiden Seiten: links das Tosende, rechts das ruhig Liegende, für Wassersport in geschützterer Lage geeignet.
Am Neusiedlersee, im Strandbad von Podersdorf, lockt ein Werbeständer mit Surfcamps für Kinder: Hvide Sande in Dänemark wird angeboten!
In Hvide Sande gibt es am Sonntag immer wieder Fischmarkt, eben um 7 h früh, in einer der riesigen Hallen. Es darf mitgeboten werden!
An den Toilettenanlagen ist mittels Bildsymbol vermerkt, dass man hier Fisch nicht ausnehmen darf.
Ums Eck gibt es die Restaurantkette „Nordsöfisk“- an den gewohnten Logofarben zu erkennen. Dänisch ist oftmals gut verständlich lesbar, jedoch schwer verständlich zu sprechen ((
Am Strassenrand, just in der Nähe eines der heißgeliebten Flohmärkte, entdecken wir folgendes Schild: „Rabatten er blod“.
Ich denke eigentlich gleich an den Seitenstreifen – und richtig: der Seitenstreifen ist weich, also unbefestigt.
In einem Dänemark-Kommentar las ich, dass ein junger Mann ob der Besonderheit der Worte das Schild mitgenommen und in seinem Partykeller aufgestellt hatte))
Schilder für Wildwechsel gibt es hier auch einige. Streift dann das Rotwild früh und abends zuhauf durch die Dünen, überquert es die Fahrwege.
Als ich spannungsgeladen die Olympiade im Fernsehen verfolge, wird das Bild plötzlich linksseitig bewegter und größer – es erwächst ein Geweih aus ihm!
Ich erstarre, mitten in unserem Garten bewegt sich ein 10-Ender! Im Schlepptau einige Genossen seiner Sippe. Wie herrlich anzusehen! Grazil stakst er durch das hohe Gras, immer wieder rastend und äsend.
Ein Jungtier stellt sich anderntags bei uns auf der Terrasse ein: es bleibt 10 min vor Ort!
Zur Zeit der Perseiden-Schauer am August-Nachthimmel setzen wir uns in die Dünen bei Bjerregard. Es ist stockdunkel, das Meer tost und der Wind braust über unsere Köpfe. Die Grashalme rauschen leise neben uns. Wir sind gut eingepackt, auch mit Haube und Schal.
Die Sterne über unseren Köpfen werden mehr. Sternbilder werden sichtbar. Und dann – ein schneller Streif am Dunkel über uns – ein Teil des Perseiden-Spektakels!
Am nächsten Abend überschreiten wir dort die Dünen und stehen in einem Gemälde von Van Gogh:
Wolken bis zum Strand
Farben im Überfluss
Formen ausladend
Sonnenlicht, das lange Schatten versucht zu werfen
Zu unseren Füßen weiße Schaumkronen, die im Wind wackeln
Schaum, der uns entgegengespült wird aus dem Meer.
Schaumfetzen, die an der Luft entzerrt werden.
Dieses wilde Treiben so intensiv und schön
Tränen füllen sich in meine Augen.
Gehen. Einfach weiter eintauchen in dieses Bild, verschmelzen mit den Elementen, Zeit und Raum verlieren. Da sein. Das Sein.
Susanne Wallner
2021