Ich hatte erfahren, dass Volontäre gesucht würden – sind im Internet an zu melden.
In München füllte ich 1 ½ Stunden lang Fragebögen aus;
Warum die Euro?, warum ich? Wie löse ich Probleme? Wie gehe ich mit Beschwerden von Kunden um? habe ich schon mal bei Großveranstaltungen mit gewirkt (ja, 2001 bei Special Olympics Wien),...
Fertig – klicken- ab geht die Post. Ein Gefühl der Erleichterung, diesen Schritt erfolgreich (!) getan zu haben.
Das war im Sommer 2007. für den Gästebereich und Transport entschied ich mich. Parkplatzwächter, Marketing, VIP-Bereich waren mir nicht attraktiv genug…
Wann wird wohl mit einer Antwortreaktion zu rechnen sein?
Im Oktober werde ich zum Interview eingeladen, ins Praterstadion. Es schneit.
Ich bin interessant für die EURO! Longterm-Volontärin Anna befragt mich.
Ähnliche Sätze wie im Fragebogen. Meine Uniformgröße wird abgenommen; das Fotoshooting entfällt mangels funktionierender Kamera und ich erhalte einen kleinen blitzblauen EURO-Ball. Wer hat den schon? - -
Jänner – Feber 2008 – noch keine Antwort über die Auswahl. 17.000 Freiwillige meldeten sich, 5000 Interviews wurden geführt und 1500 Personen engagiert.
Feber, St. Moritz, Gondel zum Piz Corvatsch, „Hallo, Frau Wallner? Können Sie zum Teambuilding-Seminar Mitte der kommenden Woche erscheinen in Wien?
Ach so, nein, ist nicht so tragisch. Ja, Sie sind definitiv dabei im Juni!“
Jippie! Ein Sprung in luftiger Höhe ist mein Einstieg in die EURO 2008.
Im April werde ich dem Transportteam zugeteilt. Ein Fahrtraining in Teesdorf ist ein Muss – also nochmals durch Wasserfontänen, schneidige Kurven – wobei mein deutscher Kopilot Manfred nur immerzu „Gas, Gas, Gas!“ ruft …
Wir fahren mit PKWs, Limousinen und Vans, von Hyundai und Kia. Alle werden ausprobiert; pro 10er-Team findet man eine Dame. 2/3 der Fahrer sind aus Deutschland, sie bringen die Erfahrung der WM 2006 mit – diese Fans zahlen z. B. einen Flug von Berlin nach Wien und retour zum Training, nehmen im Juni 3 Wochen Urlaub und berappen ein nicht gerade billiges Quartier dazu. Welcher Österreicher würde das machen?? – ich habe keinen gefunden…
Auch Andi Herzog gibt uns an diesem Tag ein Stelldichein.
Ende Mai 2008: die Kick-Off-Veranstaltung für alle Freiwilligen im Ferry Dusika-Radstadion in Wien. Aus 150 Nationen sind sie dabei, auch 2 Nepalesen, 1 Tibeter, 1 Nigerianer. Trix und Flix begrüßen uns in Lebensgröße – wozu brauchen wir die eigentlich? – wir lernen die Ansprechpartner unserer Teams kennen. Dann Show mit bekannten Sportgrößen und Reihum-Fragen, warum man Volontär ist? Die Jüngsten sind 18 – obwohl sie bei weitem nicht so aussehen – ein Mädel sagt, Fußball interessiere sie gar nicht so, sie sei einfach bei jedem großen Event dabei. Die älteste Teilnehmerin ist 73. Ich treffe per Zufall meine Reisekollegin, eine Pensionistin, von unserer Kamtschatka-Reise! Sie hofft, dass ihre Enkelin in das Team der Mc-Donalds-Kids kommt und mit den Stars ins Stadion einlaufen kann…
Anfang Juni dann noch 1 Tag des konkreten Briefings mit genauen Daten über KFZ, Hotels, die UEFA, Do´s & Don´ts und Kennenlernen von noch mehr Kollegen. Öko-Fahren wird uns antrainiert – niedertourig, vorausschauend. Es wird viel gelacht und das Gefühl, von Profi-Volonteers umgeben zu sein, kommt bei mir auf. Meine Frage, ob wir wenigen Frauen im Team spezielle Aufgaben zugeordnet bekämen, wird nur mit Gelächter der Organisatoren quittiert… Abholen der Akkreditierung – ohne Akkreditierung keine Uniform, ohne Uniform kein Einsatz! Ein Verlust der Akkreditierung kostet mit einer polizeilichen Verlustanzeige € 150,--.
Am 7.6.08, einem Samstag um 6.45 h, erwache ich und singe sofort: „EURO, EURO!“ ; ich hatte bis dato täglich gewünscht, der Beginn sei doch endlich gekommen…
Ich lege meine blitzblaue Adidas-Uniform an, hole im 20. Bezirk mein KFZ ab und begebe mich wie viele andere Freiwillige ins Hotel Hilton am Stadtpark als Standby.
Das heißt, warten in der Transportlounge, ein gutes Buffet mit eigenem Kellner genießen (das einzige unserer Stationen), surfen, fernsehen und gelegentlich in den 8 Stunden eine kleine Fuhre zu haben (mehr als 8 Stunden Dienst sind nicht erlaubt).
Pro Dienst erhalten wir 2 Sodexho-Gutscheine und € 2,-- zum Telefonieren, falls wir unsere Koordinatoren rückrufen müssen.
Am darauffolgenden Wochenende - ich bin immer nur an Wochenenden tätig, und diese ganztägig, Samstag und Sonntag - bin ich Standby am Flughafen. Es ist drückend heiß und wenig zu tun.
Am folgenden Wochenende erfahre ich, dass mehr Voluntäre eingeteilt worden waren, um Extra-Kapaziäten zu haben bei eventuellem Bedarf – so erklärt sich der Überschuss und ein wenig Frust über die mangelnde Ausnützung unserer Talente schwindet.
Ich fahre in 3 Fuhren 1 Schweden, 1 Schweizerin und 1 Italiener vom Flughafen ins Hilton.
1 Kollegen muss ich ins HolidayInn am LaaerBerg zu unserer heimischen Mannschaft fahren. Ein rot-weiß-roter Spieler steht gerade in der Parkbucht und gibt Autogramme.
- - Ein deutscher Kollege erzählt mir, er habe am Privatflughafen von Wien die deutsche Mannschaft mit Blümchen exquisit begrüßen dürfen… ich melde sofort mein Interesse bei den Koordinatoren an solchen speziellen Aufträgen an… - -
Und was tat sich sonst?
Anfänglich war wenig EUROphorie in Wien zu spüren, aber mit den fortschreitenden Spieltagen wurde auch der Geist der ÖsterreicherInnen verspielter.
Nicht zuletzt durch das Remis gegen Polen…
Österreich kann also doch Fußballspielen und das will verfolgt werden! Fast jeder hat eine Meinung dazu und erwähnt, doch mal dieses oder jenes Match schauen zu müssen.
Unsere türkischen Mitbewohner machen aus den Türkeispielen Familienangelegenheiten, die Kroaten gehen zum Brunnenmarkt ins Lokal und die Österreicher tauchen nun auch mal in den Fanzonen auf – ich meine jetzt diejenigen, die normalerweise keine Vereinsspiele ansehen…
Es wird eine Freizeitbeschäftigung, derer man sich nicht schämen muss!
Hat ein Lokal kein TV-Gerät, fällt dies auf!
Und die Zuschauermengen vor den öffentlichen Geräten sind geschlechtermäßig gut durchmischt! – im Gegenteil, ich hatte anfangs Mühe, meinen Freunden die EURO als ein Pflichtabendprogramm bei zu bringen… - was sich änderte, als Österreich gegen Deutschland spielte!
Oskar rief mich an, dass er rot-weiß-rote Gesichtsfarben sowie einen rot-weiß-roten Zylinder gewonnen hätte, welche er mir gern verehren würde. Auch die künstlerische Veredelung im Gesicht würde er gerne vornehmen…
Manfred flötete ins Telefon: „Und Deutschland gewinnt!“ – was schon wie Standard und sehr echt klang… Uli, ein deutscher uniformgewandeter Volontärkollege, den ich in der Straßenbahn traf – so zufällig bei 200.000 Fans, die unterwegs waren, gab mir den bombensicheren Tipp, ins Leutpold in der Schottengasse zu pilgern, dort gäbe es eine schmucke Leinwand…
Paul traf ich dann vorm Landtmann und wir richteten uns ebendort beim Leutpold EURO-mäßig ein (Essen, Trinken, Hut,…).
Es zogen die Patrioten von den Vorstädten in die Stadt, bemalt, gekennzeichnet; zwischendurch skandierten einige deutsche Fans in der Straßenbahn: „Wer nicht springt, der ist kein Deutscher, he, he!“, sodass die Bim aus den Schienen zu springen drohte – was den Fahrer, der ebenso im rot-weißen Dienstdress steckte, nicht rührte.
Das Match begann um 20.45 h, aber bereits um 17 h waren die Hauptfarben der Stadt rot und weiß – diesmal von den Österreichern.
Um 19 h waren die Public-Viewing-Bereiche [sprich: Fjuing, wie in den Medien überall zu hören] übervoll, man musste abwandern.
Die Stimmung war einzigartig und das in unserem Land, wo ein Heimatliebe-Bekenntnis als Schmach gesehen werden…
2 gekennzeichnete Deutsche hatten sich also inmitten der 300 Anwesenden des Leutpolds verirrt, sie waren stolz und hatten überragende Stimmen – das Gefühl, der halbe Lärm stamme nur von ihnen, überkam mich. Begannen sie zu langanhaltend (sprich: 1 Minute lang) zu skandieren, konnte schon ein „Herst Oida, gusch!“ Wunder wirken…
Ich kam mit den Nebenstehenden leicht ins Gespräch; Fußball sei nie so präsent gewesen in ihrem Leben, erwähnten 2 Oberösterreicher, aber heute, da kann man doch nicht anders!
Der Würstelstand gegenüber des Leutpold und McDonalds ums Eck machten das Geschäft der EURO, die Toiletteanlagen hätten es auch, wären sie nur vorhanden gewesen…
In der 2. Spielhälfte dann der erlösende Schuss – für Manfred.
Der Jubelton in den Kehlen der einheimischen Fans wurde zum Flüstern und hörbaren Atem.
Um 22.30 h der Schlusspfiff; „und Cordoba lebt!“ hätte ich jetzt schreien wollen und vermochte es doch nicht…
Ich tauchte immer mehr in die EURO ein, plauderte mit noch mehr Leuten, die mir dann verrieten, dass man zum Training der Mannschaften im Stadion zuschauen gehen könne, am Vortag des jeweiligen Matches, um 18 h bzw. 20 h, für eine Zeitdauer von 15 min.
Kollege Jan nahm mich mit.
Nach einigem Gezicke der Deutschen in puncto erhöhter Sicherheitslage standen wir auf der Tribüne, die Akkreditierung sichtbar, fotografierten, sahen Joggi Löw, Lehmann, Ballack,…
Was für ein Gefühl! Und dann die Österreicher; auch die Busse fotografierten wir. Katzer und Garics kamen zu uns für Autogramme; plötzlich entdeckte ich 2 meiner Teamkollegen am Rasen im Gespräch mit Ivo Vastics, da sie zuvor Personal des österreichischen Teams ins Stadion chauffiert hatten. Ich nützte die Chance sofort und war schon bei ihnen… keiner hielt mich zurück – ein Foto mit dem 38-Jährigen Kicker war der Lohn!
Jacek aus Polen erklärte mir, er sei bei jedem Match im Stadion gewesen – du musst nur hineingehen!
Er nahm mich mit. Nicht an den Drehkreuzen, aber an den großen Gittertoren fanden wir Einlass und auch ein Plätzchen im Sektor der Italiener. Spanien-Italien stand am Plan! Hey, ich bin drinnen! Dabei bei einer Sache, die ich sonst nur am Fernseher bejuble!
Es gab dann noch 2 Matches in Wien: Halbfinale und Finale.
Spanien-Russland. Jacek nahm mich wieder mit, wir saßen bei den Russen.
Rossija! Rossija! schrie ich mit ihnen und war am nächsten Tag etwas heiser. Bärenfelle wurden herumgetragen, Pelzkappen… Blondinen mit aufgespritzten Lippen und einige Plätze, die bezahlt, aber frei waren…Nie geträumt hätte ich dieses Dabeisein!
Und am 29.6.2008 das Finale in Wien! Wie von den Deutschen erwartet, Deutschland war dabei. Von vielen nicht erwartet: Spanien hatte alle bisherigen Spiele für sich entscheiden können!
Ich war für den Abend eingeteilt – 17 – 1 h früh. Das konnte ja interessant werden und vielleicht würde ich zwischen den Fahrten auch noch etwas vom Match mit bekommen…?
Um 17.20 h musste ich am Hilton sein, ein Kamerateam abholen.
Dort angekommen, sollte ich dieses zum Landstraßer Hotel fahren, bis 19 h warten, mich dann in die Polizeieskorte einfügen – es wurden die Schiedsrichter des heutigen Matches transportiert - , mit denen es geradewegs durch den Prater zum Stadion gehen würde. Immer knapp aufschließen, damit kein anderes Fahrzeug sich einreihen könne und vor allem einen Parkplatz gleich neben dem Hotel sei zu finden.
Diese Info erhielt ich in Englisch in 1 Minute ohne vorherige Ankündigung.
Wow! Was für ein Job! Meine Bewerbung um solch eine besondere Aufgabe wurde gerade eben beantwortet!
Parkplatz gefunden, Täfelchen des VIP-Transports hinter die Windschutzscheibe geklemmt und noch eine heiße Schokolade um kühle € 5,-- im Hotelgarten verköstigt…
Die Polizei traf ein, ich sprach kurz mit dem Beamten mit dem Endeffekt, dass er für seinen Sohn mein Voluntär-Adidas-Käppchen abgetreten haben wollte – wie? –
Ich verteidigte meinen Standplatz, da das Parkieren in der Hoteleinfahrt aus meinen Beobachtungen heraus sehr hasardös wirkte. Als 4. Fahrzeug würde ich mich einreihen.
Und dann gings schon los! Der Hotelsicherheitsdienst sperrte die Straße kurz ab,
das halbe Kamerateam stieg in meinen Wagen; zuerst fuhr die Polizei mit Blaulicht vor, dann die Schiedsrichter, dann die Reporter, dann wir. Durch den Prater war uns eine Schneise freigesperrt; in 15 min waren wir vorm Stadion im VIP-Bereich. Nach dem Match sollte ich an eben diesem Platz auf das Team warten. Meine Handynummer wurde eingespeichert.
Ich war wieder „drinnen“! Ich sprach mit anderen Leuten, die mir sagten, zum Eintritt bräuchte ich eine rote Spezialkennung. Woher bekommen??
Ich sprach mit meinem Koordinator, wie ich denn wieder in den VIP-Bereich mit meinem Fahrzeug zum Abholen hineinkommen sollte? Oh, du brauchst eine Spezialkennung! - Und draufgeklebt war sie auf die Akkreditierung.
Also: ein bisschen sich noch herumdrücken, Promis gucken – Franz Beckenbauer zum Beispiel; warten, dass die Polizeisperren durchlässiger wurden – und sich dann verdünnisieren…
Was angesichts der Blitzblau-Leiberl-Montur mal 10 nicht auffiel…
Rückpfiff! Wir mussten das jetzt staffelweise machen …
15 min später, eben zu zweit, ein Entschwinden durch die Massen in die luftigen Höhen… zweimal Rausschmiss von orange gewandeten Ordnern, da wir im Dienst waren, und Order ist Order…
Wir vergruben die Akkreditierung an unseren Brüsten und tauchten bei den Spaniern in rot-gelb auf. Kleiner Kontrast schadet nicht. Zwei freie Plätze und auf geht's! Ole, ole, ole; yo soy Espanol, Espanol, Espanol…
Das Finale! Hautnah. So ein Geschenk!
Ich war natürlich für die Iberer und nach dem 1. Tor verhielt sich Mandfred wie ein fairer Fan: er ist stoisch. In der 87. Minute standen die Spanier schon an der Bande und schwenkten ihre Fahnen…
Es war ein fulminanter Sieg, mit viel Freudentaumel und Enthusiasmus.
Ich ging wieder eine U-Bahnstation, um die Wartezeit zu verkürzen – alles war ruhig, viele fröhliche Gesichter. Um 1.30 h traf ich Joe auf dem Stephansplatz – wo sonst wär er zu finden gewesen? – und wir tauchten noch einmal ein in die gemeinsamen Gesänge der EURO, diesmal die der Deutschen und Spanier.
Das war die EURO 2008 für mich, ein Ereignis „once in a lifetime“!
Susanne Wallner