Ziach-Spüln (= Steirische Harmonika Erlernen)
Um meine musikalische Praxis zu beweisen und etwas Neues zu erproben, meldete ich mich als Wienerin zum Harmonika-Schnupper-Kurs am Lande an.
Nichts ahnend und unbescholten, stellte ich mir vor, in einer Musikschule unter Musikfreunden jeglichen Alters untergebracht zu sein. Um meine Zeit zu füllen, nahm ich auch mein Akkordeon mit.
So fand ich mich abends an einem sommerlichen Sonntag im Grünen an besagtem Ort wieder. Die Altersgruppe der Teilnehmenden war – meine Wenigkeit ausgenommen, auf 55+ anzusetzen. Und außerdem, bemerkenswert bei einem Seminar, männlich dominiert!
Ich kannte niemanden, wobei jeder, der eintraf, mindestens 10 der insgesamt 65 Personen zu kennen schien. So trödelte ich in der Eingangshalle herum, traf auf freundliche Blicke. Ich hörte Schwäbisch babbeln, Kärntner Lei-Lossn und vertraute Bayerische Töne.
Als ich mich als Absolute Beginner ausgab, schwappte auch schon eine schwäbische Harmonika-Tipps-Flut über mich: „Nimmsch wohl a G-C-F-B, was hasch´n für oine? Die ander isch nix zan schpiele, glob mir, damit bin i net z´recht kemma!“ Uff, überrennen konnte sie mich nicht! Ich wusste soweit, dass es verschiedene Stimmungen der Harmonikas gab und weiters, dass es zum Spielen egal war, welche Stimmung die Harmonika hat und das sagte ich der überschwänglichen Dame auch, fachfrauisch.
Um 18.30 h war Abendessen im gemeinschaftlichen Speisesaal angesagt. Ich stellte fest: es gibt keine Sitzordnung, scannte ein wenig die Tische und nahm an einem 6-er Tisch Platz, wo schon 2 Herren saßen und noch 2 Plätze frei waren.
Eine kurze Begrüßung durch den musikalischen Leiter folgte. Natürlich wurde auch ich gescannt: zuerst mal von meinen Mitessern, derer es nun 3 gab.
2 aus Niederösterreich, 1 Kärntner.
„Wos, du kannst no gar net spün?“ – „Aber hast scho amal a Instrument in da Hand ghabt?“ –
Ungläubige Fragen. Wahrheitsgemäß antwortete ich, dass dies ein Harmonika Schnupper- und Spielkurs sei, was doch jeder wisse und ich diesen Anspruch damit erfülle. Zustimmendes Nicken. Tobias spiele täglich 5 – 6 Stunden Harmonika, er schwitze dabei sehr und habe immer 2 Handtücher dabei. Die anderen beiden tummelten sich im Mittelfeld.
Nachdem das nachfolgende Abendprogramm: „sitzen und plaudern, es wird si scho wos ergebn“ – für mich nicht ansprechend genug war, lud ich mich kurzerhand zur Orts-Ausgehtour meines Tischbeisitzers Tobias ein, eher meine Altersklasse (51 nur!). Und schwupp – fand ich mich in einem schwarzen Porsche Cayenne wieder, geil! Die Automarke stellte ich nur durch meinen Routineblick fest. In einem Cafe wollte uns die hiesige Jungschar zu einem Pärchen verschmelzen – „I find des immer so spannend, wenn si 2 frisch treffen und näher kumman“ – ey, was geht da ab? - - Aber Tobias hatte, ganz unbenommen, schon Lunte gerochen. Wir saßen danach noch in der Weinlaube seines Stadthotels, fast romantisch. Nach 22 h ließ ich ihn seine Tour allein weiter führen.
Am nächsten Morgen war Tobias mein einziger Ansprechpartner. Jedoch auch die anderen Herren am Tisch hatten gecheckt, dass ich, obwohl allein hier anwesend, auch privat ohne Partner bin und ihr Interesse stieg auf die nächste Stufe.
Am Vormittag zerstreute sich die Menge. Tobias und ich hatten noch keinen Unterricht, also fanden wir uns wieder im Cafe ein.
Ein Deutscher wollte am Hauptplatz parken. Ich klärte ihn über Parkscheine auf, die man in der Trafik erwerben solle. Verdutzt antwortete er, er mache eigentlich nicht in Drogengeschäften…
Da wir unsere Lebensumstände bis 11 h restlos geklärt hatten, blieb Tobias bald der Gesprächsstoff aus. Mit seinem Porsche konnte er bei mir nur insofern punkten, als dass ich ihn selbst fahren wollte. Er hatte ihn sich nur wegen seiner Rückenschmerzen angeschafft, Physiotherapie um satte € 100.000,-- also.
Er lud mich wieder in der Berufsschule ab.
Für mich erschien die vor mir liegende Woche wie ein langer Strudelteig, täglich 50 min Unterricht und sonst nichts. Keine Gleichaltrigen, kein Zusatzprogramm – außer abends 2 mal Buschenschankbesuch begleitet von super flotten Wiener Sprüchen jedes Mal beim fleischlastigen Essen – keiner beschwerte sich darob! Der Wiener Franz fragte mich einmal salopp: „Warum tuast des jetzt weg (Fleischstücke)?“ Meine prompte Antwort: „Weil ich Vegetarier bin“ versetzte ihn in Sprachlosigkeit. Seine interessierten Anfragen weiteten sich zu mühsamen Feststellungen von Divergenzen in Lebensentwürfen von Jung und Alt aus.
Ich versuchte meine Situation durch telefonische Gespräche mit 4 meiner Freunde auf zu peppen, immer mit dem Nachsatz: “Hilfe, holt mich hier raus! Das is echt krass hier!“
Da es ungewöhnlich heiß war in dieser Woche, bis 38 C, waren mein Fenster, - und, wie sich bald herausstellte – auch meine Tür ständig geöffnet. Nach dem Mittagessen fand sich Tobias ein. Er wollte meinem Akkordeonspiel lauschen, was er jedoch nur als Vorwand benutzte. Dann wollte er mich massieren. Ich ließ ihn meine ewig verspannte Hals-WS kneten. Er begann angenehm links, ich stand mit dem Gesicht an die Tür gelehnt. Dann stoppte er. Ich forderte ihn auf, auch zwecks des harmonischen Energieausgleichs, rechts weiter zu machen. Dies lehnte er zuerst mit einem Verweis mit einer dafür normalerweise zu entrichtenden Gebühr ab, fand aber keinen Ausweg. Dann wollte er mich hypnotisieren. Ich gab zu verstehen, dass das bei mir sowieso nicht funktioniere – und außerdem: draußen wuseln gefühlte 50 Leute herum, welche jederzeit eintreten könnten! Widerwillig ging ich zu Bett und fiel nicht in Trance. Außerordentliches Pech für ihn, denn jetzt waren all seine Register gezogen. Nervös trippelte er im Zimmer herum, um seinen exakt 12 min dauernden Besuch zu beenden. Mein Angebot, ihn heute zur Buschenschank zu fahren, hatte er zuvor wegen eigenem geplantem Alkoholkonsum gerne angenommen.
Nach meinem – wie sich herausstellen sollte – nun täglichem Mittagsschläfchen und 1. Stunde bei Bettina, einer sympathischen, 23-jährigen Konservatoriumsstudentin der Steirischen Harmonika – fuhr ich also mit Tobias zu seinem Stadthotel. Er müsse noch unter die Dusche, derweil solle ich fernsehen. Ich tat, wie geheißen und überlegte mit abgewandtem Blick, wie er sich wohl in meinem Beisein seiner Kleider entledigen würde? Kaum hatte ich mich in die Doku über Wiener Gebäudebrüter vertieft, tänzelte er auch schon wieder in frischer schwarzer Unterwäsche neben mir herum. Es war noch nicht Zeit, zu gehen. Dieses Zeitfenster wollte er als geübter Geschäftmann nützen. „Soll ich dich nicht ein wenig streicheln?“ tönte es. „Hey, wir kennen uns doch gar nicht einmal!“ – „Na, das ist ja gerade das Gute!“ posaunte er wirklich gelöst. Meine Nackenhaare sträubten sich. „Nein, danke!“ – und schwupp – versuchten seine Hände diese zu glätten. Ich schob seine Hand weg und stand auf. Es hatte sich ausgebalzt.
In der Buschenschank wurde bemerkt, dass wir zusammen kamen und zusammen gingen. Wir saßen am Musikertisch. Tobias erwähnte, dass letztes Jahr beim Seminar eine Freundin einer Schwäbin am letzten Tag, dem Freitag, sehr um ihn geweint habe, so fein hätte er ihr es gemacht! – Ich entgegnete, dass ich da aber viel zu tun hätte, wenn ich jedes Mal weinen täte? - Um 22.30 h lud ich ihn wieder zu seiner Lokaltour im Ort ab.
Am nächsten Morgen auf dem Weg zum Frühstücksbuffet drangen Worte wie „Susanne, Susanne!“ an mein Ohr, vom musikalischen Leiter. Ich überging diese, wohl wissend, was er aussagen wollte. Ich entkam ihm jedoch nicht: beim Buffet wiederholte er: „Susanne, Susanne, da tun sich ja Abgründe auf!“ – „Wo? In deinem Kopf?“ – Die gesamte Woche war er dann überaus höflich und normal zu mir.
Als ich wegen der Hitze müde am Tisch zu sitzen kam, mußte auch Ewald seine Vermutung kund tun, dass ich mich ob der beschwingten Nacht doch nicht beklagen solle!
Ich begann zu verstehen! Die Gockel gaben sich den Eifersuchts-Kampf! Obwohl der Veranstalter eigentlich drüber stehen sollte!
Vomittags ging ich in den Wald. Als ich, wieder retour, an den Rauchern an der Türschwelle vorbeikam, meinten sie, dass dort der böse Wolf hause oder gar der Fuchs! „Ja, ich hätte eh ein altes Mankerl getroffen…“ äußerte ich.
2 Tage später ging ich wieder in den Wald. Hätte ich bei der Rückkehr wieder einen Spruch vernommen, hätte ich hinzu gefügt, „viel besser, es war der Elefant, den ich getroffen habe. Der hat wenigstens einen langen Rüssel!
Durch einen Zufall wurde ich auf den 3. Wiener aufmerksam, Ignaz. Er war dort ein Urgestein, solide, geachtet. Und er jodelte! So vereinbarten wir in seinem Raum um 17 h einen Termin. Und es klappte vorzüglich! Ihm konnte ich endlich meine Gedanken und männlichen Erlebnisse schildern und er fügte hilfreiche Ergänzungen hinzu. Weiters solle ich das alles nicht so ernst nehmen, das sei in einer Männerwelt normal.
Am 2. Tag kam ich mit der aufgeschlagenen letzten Seite meines Übungsheftes zu meiner Lehrerin, um ihr vor zu spielen. Sie war erstaunt! Das sprach sich herum und so kamen immer mehr Männer zu mir, um mich spielen zu hören und sich teilweise auch zu ärgern, dass bei ihnen nur scheinbar wenig weiter gehe.
Nach den kommunikativ frustrierenden Erlebnissen des 1. Tages hatte ich meine Nähe zu Tobias auf gegeben, was er weder verbal noch gestisch-mimisch bemängelte. Ein Fachmann also. Man nimmt, was kommt und vor allem: wies kommt und lässt sich gar nichts anmerken. Wie zwei Unbekannte saßen wir fortan nebeneinander beim Essen. Was die anderen sehr wohl bemerkten und mich als Kumpel aufnahmen. Hatte er also nicht wie jährlich einen Stich gemacht! Hektisch sprang er nach dem letzten Bissen auf, um „frische Luft“ aus der Zigarette zu tanken. Wenn er nicht spielte, flatterten seine Finger sonst wie hin und her.
Ich hatte nun mehr Leute zum Austausch gefunden und genoss fast den trägen Tagesablauf.
Fredl aus Bayern hatte erwähnt, dass ihre Partie am Abend zu Tonis Buschenschank führe. Als er mich beim Rauchereingang traf, lud er mich auch ein! Na, super, geht ja doch was! Und es war ein schöner Abend, wo ich auch mit dem für mich wilden Kärntner Hund, Franz, beschwingt tanzte. Der Haushund gesellte sich zu uns, vertrug es jedoch nicht, wenn wir klatschten. Anfangs hatte er bei Franz´ Harmonikaspiel mit eindringlichem Blick zu verstehen gegeben, ob das denn jetzt sein müsse? Die Schwaben hatten scheinbar ihren eigenen Buschenschank-Abend.
Am 3. Tag war ich mit meinem Kärntner Tischnachbarn Karl bei der Buschenschank und am 4. Tag war der Vorspielabend. Meine Lehrerin fragte an, ob ich eh mein Instrument mit nähme zum Aufspielen? – Ja, gern, eine Ehre für mich! Ein Großteil der zuvor klotzenden Herrn zog effektiv den Schwanz ein, als es ums Auftreten ging!
Schade, denn jeder hatte was zum Besten zu geben!
Am letzten Abend ab 19 h war Vollversammlung.
Ich trug mein indonesisches Kleid in den Farben des dunkelblauen Meeres. Der Bayer Erich kam zu unserem Tisch und posaunte: „Mei, is des geil!“ – „Wirklich, voll geil, wia des ausschaut, Madl!“ – auch da war ich geehrt, da er sich am Anblick erfreute.
Der Veranstalter übergab mir die Urkunde mit den Worten: „Jetzt kann ich dich doch noch küssen!“ und dann wurde aufgespielt.
Wir tanzten und hatten Spass, aber der Kärntner Karl verfiel zusehends. Ich schlug einen Spaziergang vor. Eine sternenklare Nacht ohne Taschenlampe. Auf meine Verneinung, dass ich jetzt keine Angst hätte, versuchte er dennoch, seinen Arm um meine Schulter zu legen. Ich schob sie weg.
Fazit: am Abreisetag wollten alle mir bekannt Gewordenen meine Ankündigung, dass ich nächstes Jahr doch sicher wiederkäme, hören!
Und da war ich das 3. Mal geehrt!
Susanne Wallner