Planung
Anfang Dezember 2002 erinnerte ich mich an die Annonce über Schlittenhundefahrten, die mir eine Freundin vor einigen Jahren zukommen ließ. Ich suchte im Internet nach Agenturen und fand Angebote in der Schweiz, Frankreich, im Schwarzwald (so Schnee liegt) und im höheren Norden - Norwegen und Schweden.
Da ich mir eine weite, weiße Landschaft vorstellte, durch die sich die Schlittengespanne bewegen, nahm ich mit einer deutschen Agentur für Schweden Kontakt auf. Mehrere "Packages" standen zur Auswahl; ich fasste eine Wochenendtour ins Auge (bei der man mit Mietwagen eigenhändig durch die Schneelandschaft zum Huskycamp fahren musste), doch die Termine konvenierten nicht. So landete ich bei den Sylvesterangeboten - Dauer: 8 Tage inkl. Anreise. Das erschien mir etwas zu lang (Vorstellung: täglich Schlittenhundefahren mit fremden Personen, es ist etwas kälter als bei uns in Österreich und etwas früher dunkel als hier), doch es war noch 1 Platz frei (!) - es musste lediglich die Anreise organisiert werden.
Die nämliche Agentur konnte einen Flug von München nach Stockholm reservieren; die Route Stockholm - Kiruna - Erzstadt über dem nördlichen Polarkreis - war hoffnungslos überbucht - doch für solche Eventualitäten hatte ich mir schon überlegt, eine Strecke mit der Bahn zurück zu legen. Dieser Vorschlag wurde sogleich mit Daten quittiert - eine Nachtfahrt sei natürlich möglich, einen Tag früher als die anderen Gäste muss man anreisen - kein Problem also ... (ich hatte eher an eine 5-stündige Bahnreise gedacht) - aber ich sagte zu. Ein Traum, als großer Tierfreund so nah der Natur zu sein, rückte näher.
Ich hatte noch einiges vor zu bereiten: einen Flug von Wien nach München in Wien buchen; die Tour samt Weiterflug in Deutschland buchen und die Bahnfahrt mit Liegewagen über eine private Bahngesellschaft in Schweden reservieren (durch Zufall kam ich dann an die richtige Telefonnummer in Schweden - mit Hilfe der ÖBB).
Vorbereitung
Ich erhielt eine Liste mit nützlichen Dingen, die im Winter mit zu führen gut wären: Stirnlampe, Sturmhaube, Arbeitshandschuhe zum "Hunde füttern". Nicht angeführt waren z. B. "warm pads" - kleine mit Chemikalien gefüllte Säckchen, die man in Fäustlinge und Stiefel steckt und die sich durch die Körperwärme aufheizen und 12 Stunden für Annehmlichkeit in diesen Körperregionen sorgen ...
Das "Zwiebelprinzip" ist anzuwenden, die Kleidung sollte aus Wolle und Fleece sein, Baumwolle würde durch Schweissansammlung den Körper kühlen. Es ist mit ca. -20° C zu rechnen - allerdings einer trockenen Kälte, die besser zu ertragen ist, als z. B. Schiwetter bei uns bei -8° C. (-15° C hatte ich schon mal in Bad Kleinkirchheim in Kärnten beim Schifahren und kam gut über die Runden). Weiteren Overall, dicke Boots und Handschuhe waren vor Ort zu begutachten.
Auch das eigentliche Abenteuer, das Fahren mit den Schlittenhunden, lernte man am Tatort kennen.
Und so beschäftigte ich mich hauptsächlich mit Weihnachten und registrierte am 26. 12., einen Tag vor meinem Abflug, dass es in absehbarer Zeit milder werden sollte in Wien, einige Grade über dem Nullpunkt waren angesagt.
Ankunft
Die beiden Flüge und die Nachtfahrt mit der Bahn waren angenehm, ich konnte gut
schlafen und wurde um 9.30 h in Kiruna von Lars abgeholt.
Schon um 8.30 h konnte man etwas von der verschneiten Landschaft Lapplands sehen und man wusste, es würde auch kalt sein.
Das Abenteuer beginnt
1. Tag
Es hatte -30° C. Mit meinem mit Daunen gefütterten Wintermantel nahm ich die Temperatur kaum wahr. Wir fuhren durch herrliche Landschaften, sahen Nadelwälder und einige Hügelketten und viel Weiß. Immer wieder Straßenschilder "Vorsicht, Hundeschlitten queren" und "Vorsicht, Elche!".
Lars erhielt einen Anruf von der Huskyfarm, wir sollten uns beeilen, vor 12 h müssten wir dort sein, damit die 1. Tour starten könnte.
Ich hatte noch kein warmes Getränk zu mir genommen und 50° Temperaturunterschied zu verkraften.
Ich erhielt ein kleines warmes Frühstück und dann befand ich mich schon zwischen vielen kläffenden Hunden.
Die Einführung in die Handhabung der Schlitten und Hunde erhielt ich erst am darauf folgenden Tag; wir mussten das Tageslicht ausnützen - um 14 h würde es stockdunkel sein! --
Über meinen Schianzug bekam ich einen winddichten Goretex-Overall, dicke Moonboots und ziemlich dünne Schihandschuhe. Weiters eine Fellkappe, aber meine Sturmmütze hatte ich in der Eile nicht mehr anziehen können.
Ich wurde im Schnellverfahren am Schlitten eingewiesen, mir kurz meine Kumpel für die nächste Woche vorgestellt und - los ging´s!
Alles ging prima, ich verlor einmal den Schlitten, als die Hunde durch Tiefschnee im Wald fuhren - bis nach ungefähr einer Stunde - als mir plötzlich mulmig im
Magen wurde (ich hatte doch nichts Schlechtes gegessen?); meine Finger fühlten sich klamm an; meine Nase war ein Eisklumpen und ich verlangte nach langem Durchhalten in diesem Zustand - etwa 10 min - nach einer Pause. Ohne Nachfragen gewährte mir diese unsere Musherin, erkannte die Situation, wärmte meine Nase, steckte mir warm pads in die Handschuhe - ein Weiterfahren war unmöglich geworden.
Ich
wurde in den Skidoo von Bruno (der Musherin Mann - für alle Fälle) gepackt auf Rentierfell und saß dann ½ Stunde zitternd vor dem offenen Kaminfeuer und versuchte meine Gedanken zu ordnen.
Erst 3 Tage später konnte ich verifizieren, was passiert war: ich hatte einen Kreislaufzusammenbruch ob des Temperaturunterschiedes und der Klimaveränderung. Ich hatte keine Minute Zeit mich an die neuen Gegebenheiten an zu passen - ein Zusammenklappen war das Resultat.
2. Tag
Ich bot alle meine Ressourcen auf, um meinen Urlaub bestehen und vielleicht doch noch ein wenig genießen zu können. Ich konzipierte meine Kleidung genau; versuchte meinen vermeintlich lädierten Magen zu beruhigen - Medizin und leichte Kost sollten dabei unterstützen - und stellte mich 30 min lang vor meine Hütte zur Akklimatisierung für den kommenden Tag.
Das Konzept ging auf.
Wir machten eine 3-stündige Ausfahrt mit Mittagspause in einer Blockhütte. Unsere Musherin hatte mir zusätzlich zur Sturmhaube noch einen Neoprenschutz im Gesicht verabreicht sowie dicke Fäustlinge mit warm pads vorab. Ich durfte ganz vorne mitfahren, gleich hinter unseren ganz neuen Gästen aus Deutschland.
Das Fahren mit dem Schlitten war zur Selbstverständlichkeit geworden - mein ganzes Trachten ging nach der Observierung und Aufrechterhaltung meiner Konstitution. Dies mag jetzt paradox klingen, aber ich war doch zum Hundeschlittenfahren nach Lappland gekommen und das ging nun mal nur in einem fiten Körperzustand.
In der Hütte gab´s neben Aufwärmen Rentierhack mit Nudeln und heißen Tee. Sehr gemütlich.
Dann ging´s wieder weiter, zurück über einen zugefrorenen See in die Basisstation. Der 1. richtige Tourtag war geschafft!
Unsere neuen Gäste erzählten von ihrer folgenden Übernachtung im Eishotel in Jukkasjärvi, wo die Raumtemperatur -5° C erreicht ... unvorstellbar für mich, denn nach unseren Aktivitäten in diesen eisigen Temperaturen benötigt der Körper Beruhigung in Form von "angenehmen" Raumtemperaturen. Bucht man solch eine Tour in Deutschland oder Österreich, kann man solche Details bzw. Notwendigkeiten nicht erahnen oder sich vorstellen.
Unsere Arbeit als "Musher"
Es war sehr schön in die gesamte Arbeit mit den Hunden eingebunden zu sein bzw. dafür auch verantwortlich und selbständig zu sein! Unsere Gruppe, 5 Deutsche und ich wurden bald zu einem guten Team, die einander gut unterstützten.
Jeder Tag begann für uns mit dem Aussuchen der Hunde durch unsere Musherin. Danach legten wir ihnen das persönliche Geschirr an. Dies war abhängig vom Temperament des Hundes. Manche Hunde waren nur mit einer weiteren Person dazu zu überreden, ein klein wenig still zu halten, um das Geschirr an zu legen. Einmal wurde meine deutsche, stämmige Kollegin von einem ihrer Hunde, Dennis, im Käfig über den Haufen gerannt, da dieser sich so freute, laufen zu dürfen.
Mein Hund Black hüpfte stetig auf das Dach seiner Hütte, wenn ich mit dem Geschirr seinen Kopf berührte - ich erfuhr, dass Black sich nur auf seiner Hütte stehend und zwar von vorne anschirren lässt. - Das Anschirren erfolgt normalerweise, indem man den Hund zwischen die eigenen Beine nimmt und das Geschirr über den Kopf zu ziehen beginnt - vorausgesetzt, man weiß beim Geschirr, was oben und unten ist (eine kleine Wissenschaft).
Nächster Schritt: wir führen die Hunde aus dem Käfig an eine außen liegende Kette und hängen sie dort an. Immer zu bedenken: die kleinen Karabiner lassen sich mit Fäustlingen kaum greifen und bei -30° C die Handschuhe auszuziehen ist schon eine Heldentat!
Unsere Musherin stellt in Folge die Gespanne zusammen, welche aus 4 Hunden bestehen. 2 Leithunde, welche diverse Befehle verstehen und ausführen und 2 Zughunde, die stark sind, aber oft keine Kommandos umsetzen können.
Unsere Schlitten sind an Pfosten angeleint, in Laufrichtung. Es werden zuerst die Leithunde angespannt.
Die reale Situation ist vom ständigen freudigen Kläffen der Huskies begleitet; die Hunde stehen nicht still, sind sie einmal losgehängt. Sie begrüßen ihre Freunde, wollen zu ihnen hin laufen. Sind sie angespannt, laufen sie gerne um den Schlitten herum, was ein heilloses Gewirr der Leinen zur Folge hat. Man hat in unserem Fall also 4 Hunden anzuspannen. Da gerät man öfter zwischen die Leinen, die
Hunde springen bis zur Schulter und drücken aus, warum sie denn noch nicht laufen könnten - so schwierig sei die ganze Prozedur doch nicht ...
Meine Situation war - Leithund Sitta angespannt, den zweiten Leithund Lissy in der Hand zum Anspannen, doch keine Leine in Sicht - die befand sich hinter dem Schlitten samt Sitta - Lissy konnte ich nicht loslassen, Sitta kam allein nicht hinter dem Schlitten hervor ... da mussten dann andere mithelfen.
Start
Hier ist es wichtig, mit dem ganzen Gewicht auf der Bremse zu stehen, sonst steht man im Schnee und winkt dem Schlitten hinterher.
Laufstrecke
Die Musherin gibt die Strecke mit ihrem Gespann vor. Ihre Leithunde müssen perfekt folgen.
Es werden immer wieder kurze Pausen eingelegt, um alle aufschließen zu lassen und etwaige Leinenverhedderungen zu beseitigen.
Bei Steigungen muss man antauchen, bei Neigungen mitbremsen. Die Zugleine muss immer gespannt bleiben, um den Schlitten optimal zu ziehen.
Weiters ist darauf zu achten, dass die Hunde ihre Notdurft in Ruhe erledigen können. In diesem Fall sollte man kurz stehen bleiben.
Probleme können auftauchen, wenn die Hunde in Kurven durch den Tiefschnee fahren, da der Schlitten leicht kippt (er ist sehr schmal). Man sollte den Schlitten nie loslassen und wieder in die Spur kommen, nähert sich einem jedoch ein Baum, ist es ratsam, dem Schlitten hinterher zu laufen.
Bleibt die ganze Gruppe stehen und ein Gespann steht vor einer Abzweigung, laufen die Hunde gerne ihren Weg und biegen ab. In solchem Fall muss man bremsen, nach der Musherin rufen, welche die Hunde wieder auf den richtigen Trail zurückruft (meist eben durch Tiefschnee ...).
Aber bei gutem Körper- und Bewegungsgefühl ist das Schlittenfahren mit den Hunden kein Problem.
Wir genossen es alle sehr und verstanden uns gut mit den Hunden.
Ende der Tour (14 h)
Die Hunde werden abgeleint und das Geschirr im jeweiligen Käfig abgenommen; die Hunde sind zufrieden und ruhiger und freuen sich auf Flüssigkeit. Abends erhalten sie ihre tägliche Mahlzeit.
Allgemeines
Im Gemeinschaftsgebäude der Musher gab es dann noch Jause und nettes Geplauder über die diversen Erlebnisse. Die besten Leithunde, die Welpen und verletzte Tiere (durch Rivalitäten) dürfen dabei sein und belegen zu 9 die beiden Sofas ...
Um ca. 15.30 h werden wir in unser Campingdorf gebracht, wo wie eine heisse Dusche und ein flauschiges Bett zum Ausspannen genießen.
Um 18 h werden wir zum Abendessen gebracht, wo Olaf, der dänische Koch, Elchfleisch oder Lachsgratin für uns serviert.
4 Tage sind wir mit den Hunden unterwegs, einen Tag fahren wir mit den Motorschlitten und einen Tag verfertigen wir Schneeskulpturen! Ein gängiger Zeitvertreib in diesen Breiten, der gerne mit Wettbewerben gekrönt wird.
Skidoo-Fahrt
Dies soll der härteste Tag die Kälte betreffend sein, da der Fahrtwind sich verstärkt.
Ich ziehe 2 Sturmhauben plus Pelzmütze an sowie 2 Paar Kaninchenfellfäustlinge.
Durch den Schutzschild des Skidoos ist mir das 1. Mal in den Boots nicht kalt!
Aber der Wind pfeift ums Gesicht. Und so passiert es, dass ich kurz mit dem Auge blinzle und es eingefroren ist! Da ich meine Brille bei 3 Dioptrien Kurzsichtigkeit nicht trage, etwas unangenehm! Aber das gefrorene Auge öffnet sich kurz darauf wieder. Unglaublich!
Weiters müssen wir Steigungen von 60 Grad überwinden - ich frage mich, ob wir im James Bond-Film mitmachen - oder wir fahren auf Pfaden, die gerade mal so breit wie unsere Motorschlitten sind, durch den Wald und haben Mühe, nicht in den Tiefschnee zu lenken. Herausragende Steine machen die Fahrt sehr holprig.
Da wir diesmal Motorradfahrer als Gäste bei der Tour dabei haben, "speeden" wir
auf dem nahen Fluss.
In diesem Fall ist es gut, nicht alles zu sehen und bange zu werden - ich folge
immer den Spuren meiner Kollegen - doch einige haben ein Loch gesichtet ... Laut unserer Musherin verantwortungslos, uns dort fahren zu lassen!
Als die Dämmerung heraufzieht, fährt mir die Gruppe samt Leitung davon und ich weiß bei einer Wegkreuzung nicht, in welche Richtung ich lenken soll - 2 rote Lichter nebeneinander linker Hand weise ich aus Erfahrung als Auto aus (ich kann sie nicht näher sehen) und nicht als Skidoo und entscheide mich geradeaus auf Lichter bei einigen Häusern zu zu fahren. Nicht schlecht, denn diese Häuser entpuppen sich als unser Campingdorf!
Ende der Reise
Am letzten Tag besuchen wir noch das oben erwähnte Eishotel. Mit meinem Daunenmantel fühle ich mich recht wohl, während wir durch die -5° C temperierten Räume wandeln. Manchem ist dabei kalt, was ich so gar nicht verstehen kann - wo wir doch -30° C bezwungen hatten!
Das Hotel wird jährlich neu errichtet und bietet unterschiedliche Räume mit phantasievollen Betten und Wandgestaltungen. Die Gäste schlafen auf Rentierfellen mit Daunenschlafsäcken und Mützen. Es gibt einen warmen Umkleideraum und Sanitäranlagen. Das Hotel ist meist durch Japaner und Australier ausgebucht.
Als ich am nächsten Tag in Stockholm aus dem Zug stieg, freute ich mich auf wärmere Gefilde - immerhin liegt die schwedische Hauptstadt 16 Bahnstunden südlich von Kiruna. Eine Temperatur von -16° C erwartete mich! Bedingungen, die eine ausgedehnte Stadtbesichtigung unmöglich machten ...
Susanne Wallner