SMS vom 1.1.14 an meine Freundin Friedel:
„Prosit aus Kamerun! Waren an Sylvester im Sultanspalast zum Dîner geladen! Bussi!“
Es war im Stammesgebiet der Bamenda, genauer gesagt in Foumban, wo unsere Reiseleiterin Agnes (frz. „Anjes“) einen Anruf aus dem Sultanspalast erhielt :“zu Ehren unseres Sultans gibt es ein Fest bei uns, so circa ab 22 h, kommt einfach!“
Seit diesem Anruf war sie sichtlich nervös. Sie, mit ihrem nach allen Seiten abstehenden, pechschwarzen Kraushaar, ebensolch gefärbter Haut. Der durchschnittliche Kameruner zeichnet sich durch ein rundes Gesicht und melangefarbene Haut aus.
Mit großer Gestik erklärte Agnes uns, ihrer 9-köpfigen Gruppe, was Sache war: wir könnten diese besondere Gelegenheit nützen und daran teilnehmen, an dem Fest, wobei sie natürlich nicht wüsste, wie es aussehen würde (…).
In Ngaoundéré hatten wir bereits einen Stammesfürsten der Fulbe besucht, einen Lamido. Sein Sitz heißt Lamidat. Ein weiterer Häuptling in Bafut z. B. heißt Fon. Unterwegs sahen wir auch die Beschilderung „Chefférie“. Diese Herren sind vergleichbar mit unseren Landeshauptleuten und ein wichtiger Entscheidungsträger für den Präsidenten, Paul Biya. Ohne deren Einverständnis lässt sich kein Gesetz durchbringen.
Agnes´ hochrangige Kontakte machten diesen Festbesuch möglich. Sie kannte Hinz und Kunz in ihrem Heimatland, eine Netzwerkerin. Sie ist gerade im Begriff, den Kamerun-Tourismus in Schwung zu bringen.
Nach einem weiteren langen Tag, wir besuchten u. a. einen Markt und deckten uns mit Erdnusspaste, gegrilltem Fisch und scharf gewürztem Ziegenfleisch ein, erreichten wir unsere Hotelanlage; kleine runde Häuschen, aneinandergequetscht, eine Glühbirne pro Zimmer funktionierte.
Nach einem lukullischen Abendessen waren es noch 5 Personen, die zum Sultansfest mitfahren wollten, auch der heutige Tag, Sylvester, konnte nichts daran ändern.
Sie müsse noch den Fahrer becircen, uns hin zu fahren, meinte Agnes, schließlich sei er schon 10 Stunden unterwegs gewesen; er kam als letzter um 22 h zum Bus, wir hatten uns auch noch mit einem kurzen Schläfchen gestärkt.
Ich fantasierte einen zum Himmel offenen Innenhof, in welchem Tanz stattfinden würde. Wir würden am Rand sitzen, dem schönen Treiben zusehen und die Rhythmen verfolgen.
Überhaupt hatte ich mir vieles an dieser Reise anders vorgestellt: der Tourismus würde blühen, viele Weiße wären unterwegs; die Hotelunterkünfte den Gästen angepasst (einheitlich, leider), die Transportwege ebenso. Doch es war genau das Gegenteil: Kamerun ist ein freies, offenes Land, die meisten Bewohner haben zu essen, aber es gibt weit und breit keine Weißen, geschweige denn - im Norden speziell - gute Straßensysteme und flächendeckende Unterkünfte. Die Retourfahrt vom Norden von Ngaoundéré in die Hauptstadt Yaoundé und weiter in die zweitgrößte Stadt Doula, die am Meereshafen liegt, bewältigten wir sehr komfortabel in der Nacht mit der Eisenbahn.
Wir waren im Zweier-Abteil untergebracht - „ÖBB-Standard“: Fließwasser und funktionierende Toiletten -. Abendessen und Frühstück an den Platz serviert. Eine beschauliche Art zu reisen!
Wir waren überall willkommen, es wurde viel gelacht, im Norden wurden wir „Weiße, Weiße!“ angerufen. Französisch und Englisch wurde offiziell gesprochen; es waren auch Deutsche Worte zu hören, aus der Zeit der Deutschen Besiedelung. Ortsnamen wie Lolodorf erinnern daran. Untereinander wurde jedoch eine der 240 (!) Stammessprachen oder Pidgin-English, welches nur bruchstückhaft zu verstehen war, gesprochen.
Der Bus fuhr durch die Nacht. Die Marktstände waren teilweise geöffnet. Dahinter Finsternis. Die Hauptstraße leitete die den Feierlichkeiten zustrebenden Menschentrauben und unseren Bus durch ein Steintor in den Sultanspalast. Musik aus übersteuerten Lautsprechern ertönte, zwischendurch die Stimme eines DJ. Teilweise sprach er Französisch, dann eine lokale Sprache, es war schwer auszumachen. Auf jeden Fall ließen sich die Leute anfeuern.
Kaum ausgestiegen, blieb uns keine Zeit, die Umgebung selbstständig zu ergründen – wir wurden vom Bruder des Sultans in Empfang genommen, Agnes geherzt und zu den Sitzen der geladenen Gäste vorgeschoben, die Volksmenge hinter einer Bande passierend.
Eifrige Helfer trugen weiße Plastiksessel herbei und wir mussten in der 1. Reihe Platz nehmen! Einige von ihren Kleidern her vornehm ausgestattete Gäste wurden in die 2. Reihe versetzt. Agnes war in heller Aufregung. Ständig suchte sie mit ihren Blicken das Tun eines jeden Einzelnen ihres Grüppchens einzufangen und Ezzes zu geben: „So musst du sitzen, dort darfst du hinschauen, ...“
Kaum hatten wir eine gute Position eingenommen, wurden wieder weiße Plastiksessel herbeigeschafft und die Sitzordnung neu formiert. Der Moderator war in seinem Element, es wurden neue CDs aufgelegt, die Menge zum Klatschen aufgefordert.
„Der Sultan möchte, dass wir hier sitzen“, „Bald kommt der Sultan in den Hof“, hörte ich alle 10 Minuten von Agnes. Ein Ablauf war nicht auszumachen. Aber wir bestätigten trotzdem, großen Gefallen am Geschehen zu finden.
Ich betrachtete die ringsum sitzenden, in teure bodenlange glitzernde Gewänder gehüllten Gestalten. Ein pompöser Anblick.
Im normalen Alltag würde ein Fußballtrikot, vorrangig von „Messi“ oder „Figo“, kombiniert mit Rock oder Hose, genügen, um überall gut gekleidet zu sein. Wir befanden uns in einer Fussballnation! Kamerun führt den Africa´s Cup an und ist, wie mir ohne zu fragen sofort versichert wurde, selbstverständlich für die WM 2014 in Brasilien qualifiziert!
Hier waren wir sozusagen „VIPs“, ohne einen Dresscode einhalten zu müssen. Wow!
Beachtung schenkte uns außer dem in gelb-schwarzem Anzug herumflitzenden Sultansbruder niemand. Wir waren neben einem in afrikanisches Gewand gekleideten Paar die einzigen Weißen.
Wir versuchten zu fotografieren. Als ich überlegte, wie ich meine aufkommenden Müdigkeit verstecken könnte, wurden wir aufgescheucht und mit den Worten „Schnell, schnell, der Sultan erwartet Euch zum Dîner“ durch mehrere seitlich befindliche offene Höfe eskortiert.
In jedem dieser Höfe saß zumindest eine ausladende, reich gewandete Afrikanerin mit ebensolchem Kopfschmuck, ich deklarierte sie als Anstandsdame. Alle Räume waren sauber gekehrt und mit Stoffen an den Wänden ausgekleidet.
Zuguterletzt befanden wir uns in einem quadratischen Hof, rundum geschlossen, nur gegenüber von uns eine kleine Tür, welche zur Küche ging. Der Hof war mit großer Gesellschaft und guter Laune gefüllt.
Und nun glaubte ich wahrhaftig, mich in einem der unzähligen Märchen von 1001 Nacht oder Hauff zu befinden:
Linkerhand thronte unter einem Baldachin, flankiert zu beiden Seiten von je 4 seiner Frauen, der Sultan. Ein Banner außen am Baldachin beschrieb seinen, aus 5 Wörtern bestehenden, Namen: „Sultan, Rahman, …“. Das Mysterium war gelüftet!
Wieder konnten wir ihn kaum aus der Nähe wahrnehmen, nicht einmal ein Kopf-zu-ihm-Hinwenden war zeitlich möglich - wir wurden zu unserem Tisch, welcher der letzte im Raum war, geschleust. Einige dort Sitzende mussten fluchtartig ihre Stühle verlassen. Auch grüßte man die Umsitzenden nicht. Anonymität unter Fremden war vorrangig. Vor uns saßen, in stiller Unterhaltung „Princes“ (dies entnahm ich dem Tischkärtchen), die Prinzen und Prinzessinnen. Ohne Aufpasser, im Alter von 5 – 16 Jahren.
Auf unserem Tisch standen antialkoholische Getränke, welche man selbst nehmen durfte.
In der Mitte befand sich das Buffet. Es war schon eröffnet; reihum, nach Rang, durfte sich bedient werden. Als vorletzte, nach den Prinzen (offenbar aufgrund unseres Alters) waren wir an der Reihe.
Die Beleuchtung war nicht sehr stark. Einiges ließ sich nur erahnen. Aber in der Mitte lag eine gegrillte Ziege. Reihum diverse Beilagen (Erdnusspaste, pikantes Malvengemüse, Salate und für die Jungen auch Spaghetti). Aus Genuss beugte ich meine Nase in die Nähe der Speisen um deren Duft einzusaugen und erntete umgehend einen scharfen Rüffel von Agnes. „Susanne, das ist verboten, nur an verdorbenen Speisen wird hier gerochen!“
Wir nahmen wieder Platz und die Zeit reichte gerade aus, um auf zu essen und wieder in den öffentlichen Palasthof zu eilen, die weißen Plastiksessel für uns aufstellen zu lassen. Die Ehrengäste mussten sich verziehen, und wir mussten uns still verhalten. „Gleich kommt der Sultan! Wir stehen dann auf und grüßen!“, so der Befehl.
Der DJ-Moderator erzählte Witze, um die Leute bei Laune zu halten. Und dann war es 5 vor 12 h. Die Erwartung stieg. Die Leute sprangen auf, und da wallte er in seinem hellblauen Gewand heran: der Sultan. Die Musik schwieg. Gefolgt von seinem Bruder, ging er an uns vorüber. Es wurde wie aus einer Kehle von 10 auf 1 gezählt und um Mitternacht gejohlt. Das Neujahr hatte begonnen!
Der Sultan schritt weiter in seinen Palast, wir wurden aufgefordert, eiligst anzuschließen, nur ein erlauchter Kreis, wie ich fest stellte, durfte folgen.
In der Eingangshalle wurde dem Sultan eine große Trommel gereicht und er musste das Neue Jahr einschlagen. Es wurde gejubelt, gelacht und gehüpft! Jetzt durfte das noch fröhlichere Fest beginnen.
4 Musiker stellten sich mit den Beinen ineinander verschränkt auf und boten Gesang und Spiel auf Instrumenten, welche wie lederne, groß genähte Dudelsäcke aussahen und mit rasselndem Material gefüllt waren, dar. Diese Aufstellung war an sich schon Dynamik pur.
Der Sultan, mit schwarzer Sonnenbrille und lächelnden Lippen, lauschte interessiert. Sein Körper schwang im Rhythmus. Wir ebenso. Das weiße Ehepaar war neben uns. Es waren deutsche Freunde des Sultans. Die Ehrengäste versuchten die besten Schnappschüsse mit ihren Digicams zu ergattern; auf den Bildern würden wogende Farben und durcheinander wirbelnde Gliedmaßen zu erkennen sein. Von den Ballustraden ertönten Jubelrufe. Von dort hatte man den besten Blick auf das Geschehen.
Nach 15 min erfolgte der Auszug auf den öffentlichen Platz zurück. Dort hatte schon die erste Musikgruppe Aufstellung genommen: 6 Trommler und eine grell geschminkte Tänzerin. Der Moderator stellte die Gruppe vor und sie begaben sich in ihr Element.
Ich war im Glücksrausch. Herrlichst dieses Treiben.
Laut und grell ging es täglich zu. Diese Reise sollte mir für den Rest des Jahres 2014 ein süßes Schlafen unter verschiedenen Lärmquellen ermöglichen. Hier lernte ich ab der ersten Nacht, oberhalb einer Disco zu schlafen; bei hupendem Autolärm, welcher sich nur in der Zeit von Mitternacht bis 4 h früh reduzierte; bei lautstarken Hochzeitsfeiern in der Hotelanlage, zu der ich – da ich doch mal schauen musste, was abging – sofort mit den Worten: „Tu viens aussi?“ - (wieder ohne Festtagsgewand) einfach eingeladen wurde; am Strand von Limbé in einem Betonhüttchen, wo sich die Meereswogen an der davor gebauten Mauer mit Vibration und Getöse im 3 Minuten-Takt brachen; in Kribi, einem Strandparadies, wo die Vögel bis 22 h im Dunkeln ihre Melodien schmetterten …
Es folgten dann weitere zwei Musikgruppen mit Trommeln und Sängern. In ihren gemusterten bunten Gewändern bauten sie menschliche Pyramiden und standen zur Abwechslung auch auf ihren Trommeln. Der Moderator erzählte zwischendurch Anekdoten und Witze, die Zuschauer bogen sich vor Lachen.
Die vierte Musikgruppe trat mit gehäkelten Gesichtsnetzen vermummt auf.
Die Ehrengäste erhoben sich immer wieder von den Sitzen und bewegten sich in vornehm, kaum wahr zu nehmendem rhythmischem Schritt zu den Tänzern hin, tanzten mit oder bewegten nur minimal im Takt ihre Hüften, es sah wunderbar ästhetisch aus. Die Afrikaner tanzen ja schon, wenn sie nur gehen. Sie wedelten mit ihren Geldscheinen vor den Gesichtern der Künstler, klebten diese auf deren Stirn oder schoben sie in deren Ausschnitt.
Kunstvolle Frisuren, das Haar in Rot gefärbt, der aktuellen Trendfarbe, waren zu bewundern. Dreadlocks und Zöpfe wirbelten durch die Luft.
Unglaubliche Highheels wurden zur Schau gestellt in abenteuerlichen Farbkombinationen.
Kurz schweiften meine Gedanken zu Lolodorf, wo wir Pygmäen am Rande des Urwaldes kennenlernen konnten. Auf dem Lehmboden mit nackten Füßen stehend, hatten einige Bewohner ein Baströckchen um die Hüften gelegt und schwangen diese hin und her. Ihre Sohlen bohrten sich, nach auswärts scherend, in die Erde. 8 weitere Leute trommelten dazu mit Stöckchen auf einem dicken, am Boden liegenden Bambusrohr den Rhythmus.
Im Fonpalast führten uns Juju-Tänzer ihren traditionellen Stelzentanz vor, ebenfalls mit Gesichtsmasken.
Um 1.30 h verließ die letzte Tanzgruppe den Platz und das Fest ging zu Ende. Die geladenen Gäste verließen ihre Plätze, auch die Volksmenge zerstreute sich schnell.
Zurück in meinem warmen Bett hörte ich noch lange die Trommeln und tanzte dazu.
Authentischer hätten wir Kamerun auf unserer Reise nicht erleben können!
Kaum zurückgekehrt nach Österreich, fand ich in der ÖAMTC-Zeitschrift 3/2014 einen Reisebericht über Kamerun mit dem Titel „Alle Farben Afrikas“: „... abseits des Massentourismus können Abenteurer in Kamerun tief eintauchen in Land und Kultur. Sie erleben lachende Gesichter, weite Savannen, fruchtbare Plantagen und bunte Tanzrituale (sic!) im Dschungel ...“ - mehr kann ich nicht hinzufügen!
Susanne Wallner