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Visiting Mao


Das 2. Mal in meinem Leben am Tiananmenplatz angelangt, wollte ich Maos Mausoleum besuchen.

Meine Reisegruppe besuchte während dessen 2 Stunden lang den Kaiserpalast mit unserer chinesische Reiseleiterin Frau Minfeng.
Bevor wir uns trennten, marschierten wir schon an Schlangen von sich anstellenden Chinesen vorüber und ich begriff instinktiv, dass dies Mao gelte.
Am Ende der Menschenansammlung angekommen, reihte ich mich als sodann einsam als "Westliche" in die schwatzenden Chinesen ein.

Es hatte 35 ° C, viele hatten einen Sonnenschirm dabei und es ging im gemütlichen Schritt einer farbigen Linie entlang voran. Diese Linie ging nicht rechteckig um das Mausoleum herum, die Kreise enger ziehend, sondern machte ausufernde Schlaufen nach rechts und links, so als müsse man den ganzen weiten Platz, der mit 40 ha Fläche der größte der Erde ist, vollständig ausnützen, einem Ritual gleich. Mal bewegte man sich zum ersehnten Gebäude hin, mal entfernte man sich.

Permanent waren Durchsagen zu hören, in kantonesisch, und auch die Menschenschlangen begleitend waren mit Megafonen bewaffnete Ordner dabei, Hinweise zu erteilen. Je weiter man fort schritt, desto mehr strenge Aufpasser bemerkte man. Es konnte sich jedoch sowieso niemand in die Wartenden "hinein" schleichen, denn passierte dies, begann ein derart unmutiges Zurechtweisen und Schreien der Menge, wie wenn sie sich von einem Ungeziefer befreien wollte, dass der Verwegene sogleich das Weite suchte. Nur bei "Ausländern", welche als solche zu erkennen waren, wurde dieses Regulativ nachsichtig durch fragende Blicke eingesetzt.

Frohen Mutes, an diesem herrlichen Tag Mao besuchen zu können, schritt ich voran. Einen Rucksack hatte ich dabei, mit Wasser vor allem. Frau Minfeng hatte wohl kurz erwähnt, man dürfe keine Tasche dabei haben - aber wohin mit den Utensilien während der Besichtigung? Das war nicht erörtert worden.

Mittlerweilen 30 min lang unterwegs, sagte eine Chinesin freundlich zu mir in Englisch, "Bags are not allowed here"- und wandte sich wieder ab. Meine Antwort und Frage daraufhin konnte sie nicht verstehen, sie hatte eine eingelernte Phrase benützt.

Ich wurde unruhig. Jetzt aus der Schlange raus und wohin?
Ich blickte hinter mich und steuerte kurz entschlossen 10 Meter weiter entfernt in der Reihe einen Herrn mit westlichem Gesicht an. Dieser Mann bedeutete mir die über der Strasse liegende Taschenaufbewahrung mit Nummernvergabe.
Nachdem ich mich noch einem Aufseher bemerkbar gemacht hatte, dass ich nur kurz den privilegierten Platz zu verlassen gedenke, gab ich die Tasche ab und stopfte meine Hosentaschen mit Wasserflaschen voll, um nicht einem Hitzeschlag zu erliegen.

Wieder retour, bedeutete ich dem Aufseher, mich wieder ein zu reihen; nach der obligaten Frage: "Where did you leave the line?" war ich schon wieder dabei. Hier ist zu erwähnen, dass die Aufseher milde mit den Ausländern umgingen, ungehorsame Chinesen (das waren auch solche, die trotz Wissens das Taschenverbot miss achteten) erwartete sofort ein Donnerwetter, der Schlagstock wurde in der Luft herum gewirbelt und diejenige Person gedemütigt. Die übrigen Besucher sahen gelangweilt zu, offenbar ist dieses Auftreten an der Tagesordnung.

Weiter gings im monotonen Schritt, ich empfand es nicht als langweilig, es waren eben so viele interessierte Besucher.
Dann bemerkte ich, wie immer mehr Chinesen vor und hinter mir auf meine Schuhbekleidung deuteten und kicherten. Das Kichern war kein Auslachen in unserem Sinn, sondern ein Erstaunen und Feststellen. Was war jetzt wieder unpassend? ärgerte ich mich und versuchte die Unruhe zu erfragen, chancenlos. Ich hörte angestrengt auf die Lautsprecherdurchsagen, doch mehr als ein "Please keep the Tiananmen Place clean and be quiet" konnte ich in Englisch nicht erhaschen. Na ja, nur nicht weiter auffallen, beruhigte ich mich, Hauptsache weiter voran ?, doch plötzlich: "Excuse me, please Stepp out of the line!" - ein Aufseher mit dringlicher Miene sprach mich an. Jetzt raus gehen? Wozu? Keine Tasche mehr dabei, was kommt jetzt? Ich versuchte mich zu erklären, keine Chance. Ich trat aus der Schlange. In gut verständlichem Englisch erläuterte er mir, dass meine Flip Flops nicht pietätvoll genug seien angesichts der heiligen Stätte, die ich zu betreten gedachte. - Ich hätte doch nur dieses Paar Schuhe hier, ausserdem schon so lange angestanden, wollte ich ihm die prekäre Lage erläutern. - Die Lösung: "You buy new shoes!" Aber wo? "In a shoeshop!" Wo ist einer? "Over there, in the city!" Als ob man vergleichsweise in der Nähe des Schlosses Schönbrunn ein Schuhgeschäft finden könnte, um diesem Faux Pas zu begegnen. - - -

Verzweiflung war der falsche Ausdruck. Ich war unsäglich wütend, über die Bestimmungen einerseits, die normale Sommerpantoffeln tolerierten, auch unbedeckte Schultern und Sonnenschirme (!) und die mangelnde Information unserer Reiseleiterin - denn dies schien Insiderwissen zu sein.

Was tun? Und das aber schnell.

Ich entsann mich der unzähligen Plastikflaschensammler, die entlang der Menschenreihe vor Ort waren und die Platzreinigung übernahmen. Ich dachte, diese Situation wäre dort bekannt.
Ich schritt auf einen jungen Mann zu und bedeutete ihm meine missliche Lage. Er verstand. Sofort zog er seine ausgetretenen Lederschlüpfer aus, welche mir 2 Nummern zu gross waren und meine Flip Flops an, welche an seinen Füßen spannten. Ich gab ihm 4 RMB, der Gegenwert für 2 volle Mineralwasserflaschen und bedeutete ihm, bitte an diesem Platz auf mich zu warten, damit wir den Rücktausch voll ziehen könnten. Ich wollte ihn an seinem roten T-Shirt wieder erkennen.

Frohes Mutes reihte ich mich wieder ein und sobald ein Aufseher vorbei schritt, versuchte ich meine neuen Schuhe voll aus zu füllen und völlig normal ein her zu gehen - die Leute vor und hinter mir kicherten wie gewohnt ?

Nun, nach insgesamt 45 min Gehzeit, waren wir in den engeren, eingezäunten Vorplatz zu Maos Grabstätte ein getreten. Meine Gedanken kreisten permanent um weitere mögliche Vorbereitungsmängel. Ich war schon so weit gekommen, dass ich die Blumenverkäufer am Fusse der Treppe zur Vorhalle von Maos Ruhestätte sehen konnte. Das grenzte an aussergewöhnlichen Erfolg!

Noch einige Male gings hin und wieder her, dann gerade aus in Richtung Stufen zum Eingang. Dort kauften Besucher Blumengaben. Am oberen Ende der Stufen wurde unsere Schlange rüde entzwei geteilt. Ordnung war das oberste Gebot. Die Blumen durften am Fusse der Maobüste nieder gelegt werden, dann hatte man fast stechenden Schrittes, in Zweierreihen, möglichst still schweigend, die heilige Halle zu betreten.

Ob der ganzen voran gegangenen Aufwändungen, Anspannungen und Schikanen hatte ich gar nicht die Zeit, mich davon frei zu machen und den ersehnten Augenblick zu genießen: bevor mir bewusst wurde, wo ich mich denn jetzt endlich befand und mich orientieren wollte, war der, ich möchte wirklich sagen "Spuk" auch schon vorbei - in eilendem Schritt wurde man an Maos einbalsamiertem Körper, sein Gesicht durch eine Lichtquelle erhellt, vorbei gescheucht; wollte man nur den Kopf näher zu dem Maos Leichnam beschützenden Glaskörper bewegen, wurde man schon zurecht gewiesen - es erschien mir, als werde eine Horde von Weidevieh durch eine Engstelle getrieben, ohne Zwischenfälle zu riskieren und ohne dem Individuum Zeit zu geben, sich zu orientieren und selbständig zu agieren - ich erreichte im Sog der Schlange die Ausgangstür, es wurde laut, die Zweierreihe zersplitterte wie ein buntes Mosaik und die heilige Stimmung war hinweg gewischt.

Ich war erschüttert. Hatte sich da gerade eben etwas Bedeutendes ereignet? Habe ich da eben etwas im Zeitraffer erlebt?

Ich schaute mich gar nicht um im Souvenirshop, in dem ich soeben gelandet war, sondern ging schnell zur Taschenaufbewahrung und darauf hin zu meinem Wohltäter. Dieser zog wieder sogleich meine Schuhe aus, ich seine auch, er reichte mir die 4 RMB, so als wären sie Kaution gewesen, doch ich deutete ihm, die seien für ihn und gab ihm noch Briefmarken zum Verkaufen und Kuchen.

Zum Schluss kommen mir noch die Worte von Frau Minfeng zur historischen Gestalt Maos in den Sinn: "Aus heutiger Sicht kann man sagen, 30 % schlecht an Mao, aber 70 % gut. Ja. Darf man so sagen."

Susanne Wallner


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Letzte Änderung: 2004-10-10 - Stichwort - Sitemap