Nach 13 Jahren wieder dorthin, wo ich vor 16 Jahren 3 Monate lang gelebt hatte, im Sommer. Ein Sommer mit hoher Luftfeuchte, lebbar jedoch in Long Island, 45 min entfernt von Manhattan.
J. hatte diesen Vorschlag gemacht, doch nach NYC zu gehen, auf Urlaub, in der Weihnachtszeit, das werde so farbenfroh und auch kitschig in den Medien geschildert. Und da lief er bei mir offene Türen ein: oftmals hatte ich überlegt, ins Manhattan des Winters zurück zu kehren, in die Schneemassen, Leuten zu begegnen auf den Straßen, deren Augen die Weihnachtslichter wider spiegelten. In Eiseskälte, wie sich das wohl anfühle? In so vielen Filmen wird dieses Bild kolportiert, dieses Gefühl von Heimeligkeit, das Zelebrieren der Liebe in dieser irrwitzigen Stadt, zum Fest der Christen.
Jetzt war der Moment gekommen. Ich schrieb an Hilary, ob ich sie besuchen könne, in Brooklyn. Sie sei leider in Südafrika, ich könne doch mit kommen! Und postwendend das Folgemail: oder möchte ich gerne allein ihre Wohnung benützen? J. war begeistert: und die 3 Katzen würden wir mit betreuen.
Am Vortag, an Weihnachten, sang J. noch „Ich war noch niemals in New York, …“ Am 26.12. kamen wir abends an, per Taxi von JFK – ich hatte J. vorgewarnt vor der Einreisekontrolle. Ruhiges Verhalten, Geduld, 100 %iges Befolgen der Anweisungen des Personals seien von Nöten. Und akkurat wurde bei uns ein 32. Schalter eröffnet, der Beamte möglicherweise in seiner Pausenruhe gestört – in murmelndem Englisch ließ er sich Einreisekarten präsentieren – „this, right“ – „that – (auf J´s Karte in die Zeile der Wohnadresse in NYC mit dem Finger zeigend – not right. Where ist his Apple Lane?“ J. will korrigieren, seinen Füller ausborgen – „you got your own“ – ich zische hinüber, er soll seinen eigenen Kuli suchen. Dann der Fingerprint – klappt nicht gleich – „wet it!“ Ich muss nachfragen, habe phonetisch nicht verstanden. Der Finger muss vorher in nassem Schwämmchen gewälzt werden – dann das Foto (jetzt auch noch lächeln?) Und dann: eingereist! Super, auch beim Zoll keine Kontrolle wegen etwaiger Lebensmittel.
Ali wartet wie verabredet in der Wohnung mit den Schlüsseln für uns. Und die Katzen sind gleich sehr interessiert, wer denn mit ihnen jetzt 1 Woche verbringen dürfe? Zum Dank postiert sich Dexter ab 5 h morgens auf J´s Brust (5 kg!) und Gordon drapiert sich schon ab 22 h malerisch und unauffällig neben dem Kopfpolster. Katie schleicht zu mir ins Zimmer. Perfekt!
J. gefällt es, mitten drin zu sein, kein üblicher Tourist, ohne Hotel, mit U-Bahn unterwegs, einkaufend in Key-Mart & CO. und essend vorzüglich in Diners oder Fastfoodketten (exzellent: Sbarro).
J. ist der perfekte U-Bahn –Guide – dank Stadtplan mit Subway-Links. Sicher sind wir unterwegs, auch in den Straßen.
Am 1. Tag gleich wollen wir die Freiheitsstatue erklimmen, das vollenden, was mir 1989 und 1992 nicht gelungen ist - und wieder eine Enttäuschung: Tickets sind limitiert – „If you come tomorrow at 8 am., maybe you get some“- sowie eine Menschenansammlung, die nach 2 Stunden erst die Fähre zur kleinen Insel erreicht. Stattdessen nehmen wir (und hunderte weitere Touristen) das kostenlose Pendlerboot nach Staten Island, fast ohne Wartezeit, und fahren in nur 100 m Entfernung an Ellis Island vorbei. Auf der Rückfahrt dann herrlichster Blick auf Manhattans Hochhauskulisse vom Wasser aus.
Für den weiterhin ersehnten Blick von oben gäbe es ja noch das „Rock“, jetzt neu ermöglicht, „on top“ zu kommen. Und wie schnell! Die 3 h – Warteschlange beim Empire vorbei wandernd, haben wir nach 5 min ein Ticket zu den Wolken! Und wunderbar liegt dieser Big Apple uns zu Füßen, im Sonnenschein, Fernblick rundum. Einzigartig, und doch bizarr, eigentlich nicht lebbar, außer man blendet all die links und rechts in den Himmel ragenden Mauern aus – vielleicht, wenn man sich vorstellt, von ganz normalen Gebäuden umgeben zu sein. Wieder am Boden bewundern wir den weltbekannten „ice rink“ vor dem Rock, der sich jedoch minimal der Menschenmassen annimmt, die ihre Runden dort drehen oder nur zuschauen. Wieder Warteschlangen, diesmal vor dem Cafe, das den Blick auf den Eisplatz eröffnet… Geduldig stehen Eltern, Kinder, Touristen vor der Tür…
So wie sie auch am Broadway z. B. anstehen, um in eine Bar zu gelangen, wo die Kellner beim Servieren singen… Oder beim Ergattern eines Tickets für eine der Shows in den „Theatres, vor jeder Show (14h, 19.30h), für Restplatzkarten zu US$ 100,-- oder für Stehplatzkarten zu US$ 21,--…
Weiters vorhanden: die Menschenmassen aller Couleurs… Massen, Massen auch an Autos, dominierende Farbe: Yellow Cabs. Unter den Füßen der Lärm der vorbeiratternden U-Bahnen, der durch die Lüftungsschächte heraufdringt, der Rauch, der aufsteigt und die Sicht âuf das pulsierende Leben vernebelt.
Und dann immer wieder ein kurzes Entfliehen in Ruhezonen –in den Trump Tower in der 5th Avenue, in marmornen Prunk und ausladende Weihnachtsdekoration, mit mondänem Restaurant zwischen Pflanzen – bei genauerem Hinsehen die Pappbecher auf den Tischen… Oder Stop bei Bloomingdale`s Kaufhaus, wo man die Regenschirme in Plastiktüten packen muss, um Tropfen zu vermeiden und im „Train bleu“ am Dach um US $ 15,-- brunchen kann (nur eine Speise der langen Karte wohlgemerkt)…
Es wird nicht gefragt: „Have you seen the Guggenheim-Museum?“, sondern vielmehr: „Have you seen the Guggenheim-Line?“ Denn unter 2-3 Stunden Schlange stehen kommt man weder ins Guggenheimmuseum, noch ins MoMa – Museum of Modern Art. Wir besuchen jedoch das Jewish Museum nahe dem Central Park und sind 2 h darin unterwegs.
Die nächste Frage, die sich zu dieser Jahreszeit stellt: „Was machst du zu Sylvester?“ Ali meinte, sie besuche wahrscheinlich eine Freundin in ihrer Bar; 2 New Yorkerinnen beschworen uns, in dieser Stadt zu Hause zu bleiben, wenn möglich und auch meine Gastmutter in Long Island würde sich nicht aus ihrem Domizil bewegen. Super! Und die euphorischen Ausrufe in Good Old Europe: „Toll, Sylvester in New York!“ sind wie Schall und Rauch. Was ist daran toll? In der 52. Straße laufen wir an einem Japanischen Restaurant vorbei, schauen rein, um für Sylvester zu reservieren – es ist bis 22 h geöffnet. Und dann? In der Kälte bis Mitternacht zu flanieren ist nicht gerade Sylvester-förderlich. Jede Musikbar nimmt ab US $ 50,-- aufwärts Eintrittsgebühren, …
Nachmittags um 15 h treiben wir uns nahe dem Times Square herum, um zumindest da gewesen zu sein. Es ziehen bereits Hundertschaften von Cops in Gruppen durch die Straßenzüge und postieren sich. Einige Besucher belegen die Gehsteige, um das Mariah Carey-Konzert sehen zu können. And then: we get stuck! Weder vor noch zurück ist möglich. Die Leute scherzen: „So muss sich Gruppensex anfühlen“, der Herr hinter mir stellt sich namentlich vor: „Hi, I ´m Larry, you just should know who´s pushing you!“
Dann geht’s ins ruhige Brooklyn, Vorfeierschlaf mit Katzen.
Das japanische Restaurant in der Nähe des Broadway entpuppt sich als Hit: unter gekrümmten Bambusstauden ein 3-gängiges Menü, grüner Tee gratis dazu, Preise moderat. Bei Bezahlung schlagen wir 10 % Trinkgeld auf, die Reaktion ist Schock der Bedienung: „Was anything not right?“ fragt sie verstört. Unser Zögern lässt sie vorstoßen: “First time here in NYC?“ --- „Yes!“ „Sie müssen 15 % Trinkgeld aufschlagen.“ Einen Taschenrechner, bitte! Dann tun wir wie geheißen und werden freundlichst verabschiedet, 22 h, das Restaurant macht Sylvestersperre. Und irgendwie kommen wir an den Broadway, in Richtung Times Square, zu den Menschenschlangen an den Seitengassen, lassen uns treiben von dem „Treiben“, und warten schließlich darauf, in einen Sektor eingelassen zu werden, der den Blick auf den „Ball“ eröffnet… 30 min Warten, Screening, Rucksäcke und Alkohol sind verboten, Regenschirme erlaubt (Logik?). In den Sektoren kann man tanzen, so locker sind sie gefüllt und man sieht tatsächlich alles: den Mini-Stab auf dem Dach eines mittleren Hochhauses, auf dem in digitaler Form ein roter Ball zu sehen ist. Und 10 sec vor Mitternacht „fällt“ der Ball dann stückweise nach unten, bis um 24.00 h dann stattdessen „2006“ erscheint… das war der ganze Spuk, deshalb Massen an Menschen, per TV in alle Welt übertragen, Tausende Cops, Scharfschützen auf den Dächern… dann Feuerwerk am Ende von Manhattan (sprich: in der Nähe des Central Park), schwer zu sehen, denn: Hochhäuser!!! Dauer: 25 min. Stattlich!
Was nun? Wir lassen uns downtown treiben, in die Bar „….“, kein Eintritt, Cocktails von einer weinenden Bardame, am liebsten im 45 min-Takt serviert, trinkt man bald nichts mehr, wird die Rechnung serviert, so wie in allen Restaurants, Cafes; teilweise tanzbare Musik, Kaminfeuer…. Sylvester in New York! Und dann mit der U-Bahn zurück, die Subway fährt die ganze Nacht.
Ein Highlight ist der Besuch in Long Island bei meiner Gastfamilie des Jahres 1989. Ohne Vorankündigung treffen wir Barbara an, das Haus und Garten noch wie damals, weihnachtlich geschmückt allerdings. Und Parker, ein Kakadu und Frederick, ein … sind dazu gekommen. Das Wohnzimmer in einer Wohnküche verwandelt, sonst alles wie es war, und das in den USA, wo die Leute oftmals alle 2 Jahre ihren Wohnsitz wechseln. Auch die meisten Nachbarn sind noch da… Und dann die beiden Söhne! Ich kann sie nur schemenhaft als mir bekannt ausmachen; damals waren sie 4 und ½ Jahre alt… Michael meint „cool“, als er mich sieht. Auch Larry ist da und küsst mich auf die Wange, wie damals, er hat sich nicht verändert… Aber er hat vom Büro in New Jersey aus das 2. Flugzeug in die Twin Towers rasen gesehen … Viele Manager der Nachbarschaft sind dort geblieben.
Mein New York! Das T-Shirt mit „I love New York“ habe ich letztes Jahr weg gegeben. Und die Mode, die Schuhbänder aus den Turnschuhen zu nehmen, habe ich damals mit genommen… Weiters die kulinarischen Köstlichkeiten - Pancakes mit Ahornsirup, Bagles mit Cream Cheese, Muffins, Doughnuts, Cheesecake (New York Style!), Waffles, Chocolate Chip Cookies, Fudge, Burgers (auch vegetarische!) - mir angewöhnt, ebenso den „American Accent“; sowie ein wenig mehr Offenheit den unbekannten Personen gegenüber.
Und jetzt eine Rückkehr im Winter, wie schon lange ersehnt, kalt, aber ohne Schnee, … Rückkehr in ein bisschen Heimat, obwohl Manhattan zum Leben zu stressig ist, das spüre ich schon nach 3 Tagen wieder … keine ruhige Ecke, alles pulsiert, die vielen Sensationen auf Schritt und Tritt, kein Verschnaufen im Cafe nebenan, immer nur weiter, weiter, höher, mehr erleben, nichts versäumen… Immer wieder diese Faszination, diese Einzigartigkeit, dieses Weiter entdecken wollen, Uptown, Downtown, East, West, Harlem, dieses Nicht-Loslassen-Können, dieses Genießen-Wollen bis zum Umfallen.
Susanne Wallner