Jetzt stehe ich doch auf. Das Gepoltere und Gedröhne draußen lässt mich ja doch nicht mehr einschlafen. Der obligate Weg zum WC – feststellen, dass die Maschine nicht mehr auf vollen Touren läuft – und dann der Gang nach draußen. Und der lohnt sich! Ein Lichtermeer des nur noch 10 m entfernten Kais von Kotka empfängt mich! Diese Stimmung ist jedes Mal einzigartig. Die Kräne sind beleuchtet, der Containerlagerungsplatz – wie eine Flutlichtanlage im Fußballstadion. Orange, gelb und braun. Langsam schwindet der Raum zwischen Schiff und Beton. Lautlos fast gleiten wir dem Kai zu. Die Leinen sind alle ausgeworfen, Springline und Aftline schon festgezurrt.
Und hinter mir das ewige Getöse des Lockerns der Befestigungsbolzen der 500 Container die wir geladen haben. Und die Männer arbeiten ohne Schutzhelme.
Dann schwebt schon die Fußgängerbrücke heran, die Juan mit dem elektrischen Kran zielsicher in Position lenkt und uns mit dem Festland verbindet. Der Lotse kann bequem von Bord gehen, die Verladekräne werden gestartet und anstrengende Arbeit beginnt. Was hier typisch ist, wenn die Kräne den Kai entlang auf ihren Schienen fahren: ein ohrenbetäubendes Signal, das mich leider an den Feueralarm meiner Arbeitsstelle erinnert – und das 36 Stunden lang!
Kotka – in Finnland angekommen, 297 km von St. Petersburg entfernt („far enough“, wie der Taxifahrer uns erklärte). Visum besorgt, eine 3-stellige Eurosumme dafür hingelegt und nicht „eingelöst“ … Aber Kotka entschädigt uns mit atemberaubenden Waldlandschaften, Kleinstadtidylle. Dieser größte Containerhafen Finnlands ist neben Bremerhaven auf der Rückfahrt die einzige Möglichkeit eines Landgangs in 8 Tagen. 4 Tage auf See, der Rest der Zeit ist gefüllt mit Anlanden, Verholen, Warten …
Aufs Schiff bin ich in Hamburg gelangt. Arctic Ocean wartete am Schuppen 76 auf mich. „Schuppen, ja, S-c-h-u-p-p-e-n“, gab mir der panamesische Kapitän am Handy nochmals durch und ein findiger Taxler brachte mich direkt ans Schiff – ohne Kontrolle meiner Schiffspapiere am Gate, meines Passes, ohne Shuttledienst. Ich hatte Burghardkai erwartet oder Eurogate mit Shuttledienst, deshalb die ungläubige Nachfrage, da sich bei „Schuppen“ ein Holzverbau vor meinem geistigen Auge gebildet hatte.
Ein Plan des Verholens in Hamburg könnte z. B. so aussehen:
Schuppen | 10,00-22,30h |
CTA | 22,30-03,00h |
Bu-Kai | 03,00-09,00h |
Eurogate | 09,00-17,30h. |
Die Zeiten sind immer abhängig vom Vorhandensein der fertigen Container, vom Vorhandensein eines Krans, vom Vorhandensein der Arbeiter…
Der Kapitän hat keinerlei Einfluss auf dieses Geschehen. Vom Auftraggeber, dem Charter, wird er vorab informiert, immer erst bei Anlanden im Hafen. Geplante Liegezeiten können sich somit stündlich ändern – so der Fall 1 Woche vor meiner Abreise, als die Hafenarbeiter in Kotka am Wochenende einfach blau machten. Fazit: 3 Tage späteres Eintreffen des Frachters in Hamburg.
Der Aufenthalt neben dem Schiff während des Verladens ist verboten, da ständig Container in der Luft herumschweben, die Kräne ihre Position ändern und Containerlader, die aussehen wie hochbeinige Ameisen, herum kurven.
Taxis erhalten am Gate normalerweise eine orange Leuchtlampe aufs Dach geklemmt.
Nur im Schuppen nicht.
An Bord ist es richtig gemütlich. Man erhält einen Muskelkater in den Oberarmen vom ständigen Überwinden der steilen Treppen auf das jeweilig höhere Deck – 5 sind es bis zur Brücke, in der das Schiffskommando regiert. Meistens ist nur eine Person anwesend; in Schichten der Kapitän, der 1. und 2. Offizier. Die Position der Arctic Ocean erscheint auf einem Bildschirm, ebenso die vorgegebene Route. Das Schiff muss nur auf Kurs gehalten werden. Auf offener See wird mit voller Maschinenkraft gefahren. Weiters gibt es zu jeder geografischen Lage eine Papierkarte. Es ist sehr ruhig auf der Brücke. Nebenbei werden allerlei Schreibarbeiten – Logbuch, Telex etc. – erledigt. Lediglich beim Anlanden, Ablegen und während der Fahrt durch den Nordostseekanal kommen 1 – 3 Lotsen an Bord. Diese gelangen am Kai mit einem Shuttle, auf See mit einem kleinen Boot an Bord. Beim Anlanden und Ablegen geben sie dem Kapitän Positionen des Schiffs bekannt, informieren über Funk neben fahrende Schiffe über beabsichtigte Manöver („Katarina!, Arctic Ocean wendet backbord“) – der Kapitän jedoch fährt das Schiff und trägt die volle Verantwortung. Im Kielkanal fahren 3 Lotsen das Schiff, 7 Stunden lang. Es herrschen verschiedene Strömungen vor und die Fahrrinne für Schiffe ist begrenzt. Große Schiffe haben Vorrang vor kleineren und in der Mitte fahrende Schiffe vor den anderen. Die Lotsen betreuen auch die Schleusung der Schiffe in Brunsbüttel und Kiel-Holterau. Hat der jeweilige Kapitän ein zusätzliches Zertifikat, kann er am jeweiligen Ort auch ohne Lotsen anlanden und ablegen.
Als Passagiere sitzen wir an den 2 Tischchen mit rutschfester Unterlage und kontrollieren die Fahrt. Der Blick fällt zuerst auf Unmengen von Containern in allen Farben bis er an den Mast des Schiffes am Bug gelangt und dann im Meer endet.
Die Farben des Meeres können weiß, grau bis dunstig sein, sodass man glaubt, das Meer schwindet im Nichts und der Himmel setzt nahtlos daran. Bei Sonnenschein ist das Meer dunkelblau mit kleinen weißen Gischten und in der Nacht tiefschwarz. Es ist nichts aus zu machen dort draußen – ich glaubte oft im schwarzen Nichts zu fahren.
Unsere Kabinen, 2 Stück, liegen am A-Deck. 2 Klappbetten, darunter die obligaten Bettzeugladen, Tisch, Bank, Kasten und Nasszelle. Alles festgemacht, Regal schief zur Wand hin geschraubt. Und ein Bullauge mit 4 Stahlschrauben zu öffnen, mit Blick auf die Vorderseite des Schiffes, wenn der Laderaum leer ist. Sonst gibt es nur begrenzten Lichteinfall und man muss ums Eck gucken, will man das Meer vorbei rauschen sehen.
3 Mal täglich trafen wir uns mit Kapitän und Offizieren in der Messe (2 Räume)– 7.30 h Frühstück, 12.00 h Mittagessen, 17.30h Abendessen. Und das reichlich. Da unser deutscher Kapitän (der panamesische ging nach 1 Tag im Hamburger Hafen in 2-monatigen Urlaub), Deftiges bevorzugte, aßen wir täglich 2 mal Fleisch. Bei unserem geruhsamen Dasein an Bord macht sich das schon bemerkbar… Unser Koch ist Philippino und zaubert nach seinem deutschen Kochkurs wunderbare Gerichte (z. B. Ente mit Rotkraut). Waren wir in Reichweite eines Landstücks, konnten wir fernsehen. Sonst waren Kartenspiele abends angesagt, oder, wenn die philippinische Crew gerade Feierabend hatte, 2 mal pro Woche Karaoke-Singen. Das war ein Hit! Ein wenig Bier dazu, Kartoffelchips und gute Laune.
Die meisten dieser Seeleute haben einen 8 – 10-Monate-Vertrag bei der Personalbereitstellungsfirma. Die meisten gehen in dieser Zeit nicht von Bord! Hie und da lassen sich philippinische Damen blicken zum Plaudern oder zum Verkauf von Telefonkarten. Unser 1. Offizier ist Ukrainer, der 1. Maschineningenieur ebenfalls. Beide haben in Odessa studiert. 2. Offizier ist ein Philippino.
Den 1. Abend auf der Arctic Ocean in Hamburg verbrachte ich am Deck über der Brücke, zwischen Radars, Radioantennen, Satelitenanlage und dem mit bunten Signallichtern besetzten „Christbaum“. Und mein Blick haftete an den vielen Containern unter mir. 660 könnten wir insgesamt befördern. Wie in einer Spielzeughafenanlage aus Lego mutete mir das Treiben der Schiffe, der großen und kleinen, der Schlepper, Kräne und Autos an. Die Sonne blitzte nur noch schwach im Abendrot gefärbt zwischen den Wolken hindurch und taucht das geschäftige Treiben in sanfte Farben. Dann erlischt ihr Licht vollends und Millionen schwacher und kräftiger Lichtquellen erstrahlen im Hamburger Hafen und verdoppeln die Szenerie. Neben uns ein 3 mal so großer Frachter, der voll gestopft ist mit Containern, der Kabinenteil inmitten der Fracht, vorne und hinten damit eingeschlossen.
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Im Winter müsse ich denn wieder kommen, wenn Arctic Ocean ihrer wahres Aufgabe gerecht werden kann, sich durch die Eisschollen der Ostsee zu schieben, wenn das Deck, die Treppen und die Container mit einer Eisschicht überzogen sind und ein Gang an die Luft bei – 30 °C und heftigem Wind mehr als tapfer ist …
Doch auch die Sommerversion „light“ solch einer Schiffsreise war ein schönes Erlebnis, welches ich gerne weiter empfehle, wenn man auch einen kleinen Zeitpuffer mit ein berechnen muss!
Susanne Wallner