Eine Alm mit schwarz-weißen Kühen auf 2.000 m Seehöhe – das ist nicht die Szenerie, die man erwartet, wenn man sich aufmacht, um Berggorillas zu begegnen.
Während wir stetig, in voller Konzentration, in ausgewählter Wandermontur bergan steigen, begegnet uns ein jüngerer Mann, barfuß, einen Baumstamm auf dem Kopf balancierend.
Über die Kigezi Highlands in kurvigen Staubstraßen haben wir den Bwindi Imepenetrable Nationalpark erreicht. Auf einer Tagestour sind wir in den Nebelwald zu einer der verstreut lebenden Berg-Gorillafamilie unterwegs. In einer Höhe von 1.160 – 2.600 m leben etwa 400 Gorillas in 37 Untergruppen von ungefähr 10 Individuen. 5 Gruppen davon sind habituiert, das heißt, sie wurden in einem Zeitraum von 2 Jahren an Menschenbesuche gewöhnt. Berggorillas leben vorwiegend am Boden.
Der Bwindi Nationalpark setzt sich im Virunga Nationalpark in Ruanda fort.
Um die Gorillas besuchen zu können, ist der Erwerb eines „Permits“ im Wert von US $ 500,-- notwendig. Täglich werden für 30 Personen Permits ausgestellt. Damit ist eine Lebensgrundlage für die Region sowie gleichzeitig für diese einzigartigen Primaten gesichert. Bis dato blieben die Gorillas von Bürgerkriegen verschont.
Ein Führer begleitet acht Besucher. Dazu kommen die Träger und Trägerinnen, die den Tagesrucksack eines Besuchers sieben Stunden lang tragen. Diese stapfen mit hohen Gummistiefeln und Leichtigkeit bergan.
Bei einem zentralen Sammelplatz erhalten wir Touristen aus aller Welt eine Einführung, um die Gorillas in ihrem Tagesgeschehen so wenig wie möglich zu beeinträchtigen.
Dann werden wir in Wandergruppen aufgeteilt – Kategorie „anspruchsvoll“ und „mittelmäßig“.
Führer mit klingenden Namen wie „Wilbur, Siliver oder Cecilia“ begleiten uns.
Ich habe großen Respekt vor diesen Riesenaffen, die generell friedfertig sind. Deshalb bin ich auch in Begleitung meines 1,85 m großen Freizeitpartners angereist – welcher sich jedoch als Gorilla-untauglich herausstellen wird, da zu groß und breitschultrig – ein direkter Konkurrent für einen Silberrücken - hinter dem Mannesrücken verstecken ist also nicht angesagt. -
Nach Querung der Weidegründe betreten wir den Regenwald, welcher erstaunlich trocken ist, die Temperatur moderat, keine störende Insekten. Die Wege sind ausgetreten, sandig, der Wald wird immer dichter. Wir finden Spuren eines Waldelefanten sowie die Exkremente eines Gorillas – jedoch nicht der Gruppe, welche wir besuchen. -
Das Monitoring der Gorillagruppen erfolgt über die Beobachtung der Schlafnester mittels GPS. Diese werden täglich neu in den Ästen der Baumriesen errichtet und am Morgen mit Urin verunreinigt, um sie untauglich zu machen. So kann der Weg der Gorillas gut verfolgt werden. Und Handys unterstützen die Kommunikation immens.
Unsere Ziel-Gruppe (!) befindet sich noch unterwegs zu einem Rastplatz, welcher generell zur Mittagszeit erreicht wird. Es ist vor 12 Uhr. Wir legen auf einer Anhöhe im Wald eine Rast von einer guten Stunde ein, ich mache auch mein Nickerchen auf dem Urwaldboden. Weiters nütze ich den Stopp für eine WC-Pause, denn in unmittelbarer Nähe der Gorillas ist dies streng untersagt, um Ansteckung mit möglichen Keimen zu unterbinden.
Dann Aufbruch einen Hang hinab zur Gorillafamilie. Nun ist der Pfad schon unwegsamer, über Wurzeln, abgestorbenes Geäst, vorbei an Sümpfen, Grasflächen und dichten Wald werden wir geführt.
Muss man austreten, so ist nun die letzte Möglichkeit – keine humanen Exkremente sollen die Gorillas möglicherweise mit Keimen infizieren.
Wir treffen auf den Unterstand der Wildhüter, welche eine Woche lang durch das Dickicht patroullieren, um etwaige Wilderer aufzustöbern. Ein schräges Blätterdach mit Schlafsäcken darunter ausgebreitet ist ihre Bleibe.
Die unterschiedlichsten Tier-Geräusche der Vogelwelt begleiten uns. Nach 45 min sind wir am Ziel.
Jetzt heißt es, unsere Wanderstöcke und Rucksäcke mitsamt den Trägern auf einem Sammelplatz zurück zu lassen, auch die Wasserflaschen.
Die Gorillas sollen durch keine menschlichen Dinge abgelenkt werden. Allein unsere Anwesenheit ist geduldet.
Es wird ernst! Wo sollen sie denn sein, die Riesen? Ich höre nichts, sehe nur weiteres Dickicht vor uns. Es bleibt mir keine Zeit zu überlegen, noch Angst aufkommen zu lassen – schon geht es weiter im Gänsemarsch, ungefähr 50 cm über Grund auf den Wurzeln.
Und plötzlich – es raschelt vorne, auf der Seite – bewegt sich da nicht etwas? -
Ja, ein schwarzer Fellberg löst sich unter den Riesenfarnen! Wir sind mitten unter ihnen!
Die Ankündigung unseres Reiseleiters von gemütlich auf einer ebenen Fläche rastenden Gorillas, welche wir ohne Sichtbehinderung sehen könnten, ist wieder einmal nicht eingetroffen!
Auf den umstehenden Bäumen sind sie auszumachen – man stelle sich schwarze Affen in dunkelgrünem, dichtem Regenwald vor – welche sich andauernd bewegen, um Nahrung aufzunehmen!
Und schon macht sich der erste gesichtete schwarze Geselle weiter vorwärts auf – und wir hinter drein! Unser Guide schlägt hinter ihm das Buschwerk mit seiner Machete ab, er bewegt sich unablässig, ruhigen Mutes weiter, ohne uns eines Blickes zu würdigen. Immer wieder greift er mit seinen langen Fingern nach einem Blatt und isst es genüsslich.
Unsere Gruppe von 8 Leuten steht teilweise schief mit den Kameras, eingezwängt von Dornengewächsen in Anbetracht dieser außergewöhnlichen Anblicke. Weiter geht es, diesmal bergan. Immer wieder verliere ich dieses Tier aus den Augen, doch die Wildhüter lotsen uns gekonnt. Und seine Gefährten sind nah bei uns! Es knackt hinter uns, ich drehe mich um und bin 1 m von einem Gorillaweibchen entfernt. In deren Weg darf man sich natürlich auch nicht stellen.
Ich sehe die einzelnen Haare des dichten Fells und die bedächtigen Bewegungen ihres Körpers.
Über uns biegen sich immer wieder Äste von Riesenbäumen, darauf hocken jüngere Gorillas – diese riesigen Massen auf einem in der Relation dünnen Ast balancierend, welch ein Anblick!
Eine Stunde lang begleiten wir die Gruppe. Wir stoßen auf einen Silberrücken von mittlerer Größe. Dieser weist eine Narbe quer über seinen Bauch auf; sie ist Blut verkrustet und stammt von heute morgen – von einem Kampf mit dem Führer der Gruppe, dem älteren Silberrücken, der sich noch nicht geschlagen gibt.
Meine Reisekollegin in einer anderen Gorillagruppe erzählte, dass sich ein Gorilla im Kindesalter vor ihnen aufgebaut und fest auf die Brust getrommelt hatte – ein Bild für Götter, meinte sie!
Diese Tiere, die die größten Primaten darstellen (max. Körperhöhe im Stehen 1,75 m, Gewicht bei Männchen bis zu 200 kg), verdienen zu Recht die Bezeichnung „Menschenaffen“ - die Blicke, der Gesichtsausdruck, die Körperhaltung, der Einsatz der Arme mit den grazilen Fingern. Sie sind hauptsächlich Pflanzenfresser.
Ich könnte noch ewig zusehen, denn jede Situation ist einmalig: das mit Leichtigkeit verbundene Schwingen durch die Äste; die Kommunikation der Riesenfellbälle untereinander – eine Verzauberung.
Bekannt wurden die Lebensumstände der Berggorillas durch die amerikanische Feldforscherin Dian Fossey, welche im Jahre 1966 in Zaire ihre Forschungstätigkeit begann. (Berggorillas im Unterschied zu den im Gebiet von Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik, Äquartorial-Guinea lebenden Flachlandgorillas). 1967 wechselte sie zu den Primaten nach Ruanda in die Virungaberge. Mithilfe ihrer „Digit-Stiftung“ kann sie Maßnahmen zum Schutz der Gorillas einführen (Wildererfallen). 1980 schreibt sie das Buch „Gorillas im Nebel“, welches 1988 verfilmt wird und weltweite Aufmerksamkeit erregt. 1983 war die Zahl der Gorillas in den Virungabergen auf 250 (!) zurück gegangen.
Verschiedene Organisationen zum Schutz der Menschenaffen trugen zur Erholung des Bestandes bei (z. B. The Gorillas Foundation, The Gorilla Organization). Heutzutage leben 800 Berggorillas in 3 Staaten: Bwindi Impenetrable Forest and Mgahinga National Park, Uganda; Volcanoes National Park, Ruanda and Virunga National Park, DRC.
Obwohl durch gut geschulte ortsansässige Patrouillen geschützt, drohen noch immer Habitatsverlust durch Waldbenützung, Wilderei, Kriege, Krankheiten und Hungersnöte. Nachhaltig angelegte Projekte, wie die Schulung der Einheimischen im Erhalt des Lebensraums, Aufbau von Infrastruktur und Schaffung von Arbeitsplätzen durch die Gorillas unterstützen das weitere Wachstum der Population und lassen auch die nahe Zukunft positiv erscheinen.
Eine andere Forscherin hat uns eine weitere Menschenaffengruppe näher gebracht: die Engländerin Jane Goodall, welche in Ethologie promovierte.
Sie machte in den 1960er-Jahren detaillierte Verhaltensbeobachtungen in Kenia an wild lebenden Schimpansen. Sie beschrieb das soziale Gefüge dieser Spezies, welches ein hohes Niveau aufweist, die Individualität der einzelnen Tiere sowie den gezielten Gebrauch von Werkzeugen im Alltag.
Wir durften diese beeindruckenden Tiere, welche unsere nächsten lebenden Verwandten darstellen, im Kibale-National Park treffen. Hier lebt eine Schimpansensippe mit ungefähr 80 Mitgliedern, welche an Touristenbesuche gewöhnt ist.
Das Gebiet dieser Primatengruppe schließt auch ebene Flächen mit lichtem Baumbestand ein.
Wir gehen möglichst lautlos gemütlich immer tiefer in den Forst hinein - das Licht wird immer weniger - in Erwartung einer Ankündigung unseres Guides. Nach 45 min Fussmarsch stoppen die ersten unserer Gänsemarschgruppe und beugen sich zu Boden – da sitzt schon ein Männchen, uns abgewandt und schmaust genüsslich einige Blätter. Als unsere Gruppe vollzählig um es herum steht, trollt es sich. 10 m weiter der nächste Schimpanse, gemütlich in einem Blätterhaufen ruhend.
Der Wald wird immer dichter, es geht bergab, bergauf; trotz unserer buschtauglichen Ausrüstung stechen uns die Dornen, die sich um unsere Arme und Beine ranken.
Die Schimpansen sind unterwegs zu ihren Baum-Quartieren in luftiger Höhe von 30 m. Unser Guide weiss genau, wo.
Plötzlich ein markerschütternder schriller Ausruf - ich verstecke mich vorsorglich hinter meinem Reisebegleiter – doch es ist lediglich die normale tägliche Kommunikation zwischen den Individuen, um ihren Standort bekannt zu geben. Ich bin erleichtert, muss mir jedoch immer wieder die Ohren mit meinen Händen zuhalten, da es durchdringend und alarmierend zugleich durch den Wald gellt. Elegant schwingen sich die Affen von Ast zu Ast, gefährlich biegen sie sich, ohne zu brechen. Wir beständig hinterdrein. Wir werden nicht beachtet, sind nur Beiwerk, an das sie sich gewöhnt haben.
Auf einer kleinen Lichtung machen wir Halt. Wir hören Laute von Colobusaffen und Pavianen sowie von unterschiedlichsten Vogelarten, z.B. des Riesenturakos. Eine wunderbare Stimmung.
Schimpansen leben in Großgruppen, welche sich jedoch in Untergruppen von max. 8 – 23 Tieren aufteilen können. Es gibt matriarchalisch und patriarchalisch geführte Gruppen.
Zu den Menschenaffen zählen die Orang-Utans in Indonesien, die Bonobos im Kongo, die Gorillas und Schimpansen. Mit 98,4% genetischer Ähnlichkeit sind sie unsere nächsten Verwandten, gefolgt von den Gorillas mit 97,4 % Verwandtschaftsgrad.
Es sollte uns ein Anliegen sein, im Sinne der Erhaltung einer Vielfalt in der Natur für den Schutz der Menschenaffen zu kämpfen.
Colin Goldner, Psychologe und Wissenschaftsjournalist, Gründer des Great Ape Projects, fordert sogar Grundrechte für Menschenaffen: Freiheit und Selbstbestimmung.
10.12.2014
Susanne Wallner