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Viet Nam


Lieber Freund,

 

noch auf Reisen im Land gingen meine Gedanken über, was ich Dir schreiben zu müssen fühlte.

Jetzt, zurück, in einem anderen Kontinent, einem anderen Klima und einer anderen Zeitzone sind die Eindrücke entfernt, ich suche sie zu halten. Es brannte in mir, diese fremde Welt auf Papier fest zu halten.

 

Auf jeden Fall war dies eine anstrengende Reise in ein Land, von dem ich glaubte, es nie zu besuchen, da ich nach unseren Distanzverhältnissen sowie so schon „in der Gegend“ war, sprich, in Thailand und Burma. Das Klima dort ist tropisch, feucht, heiß, meistens ungemütlich. Und so meinte ich, die benachbarte schöne Ecke der Erde, sprich, Indochina, nicht mehr in Angriff zu nehmen…

Dies war vor einigen Jahren und der Tourismus in vielen Ländern entwickelte sich - plötzlich war Viet Nam nicht mehr unerschwinglich teuer, wie man umgangssprachlich sagt und nach dem vorjährigen Anlauf, bei dem die Gruppenreise mangels der erforderlichen Teilnehmerzahl nicht zustande kam, buchten wir eine geführte Tour, welche schon ab 2 Personen statt finden würde!

 

Das Bild in meinem Kopf, in Viet Nam ein heißes Pflaster (nicht im übertragenen Sinne!) vor zu finden gespickt mit vielen Moskitos und womöglich schwierigen Essensverhältnissen bewahrheitete sich insofern, als ich mit einem Bronchialhusten und Schnupfen aufbrechen musste in ein feuchtes Klima.

Am Wochenende zuvor besprachen wir noch in freundschaftlicher Runde, dass ein heißes, trockenes Klima heilsam für die unterschiedlichen Hustenformen wäre und ich wagte dabei das Gegenteil, das mich erwartete, gar nicht an zu denken.

Weiters betrieb ich Therapie gegen den womöglich auftretenden Tubenkatarrh, wohlwissend, dass Starten und Landen Extremsituationen für die Ohren bedeuten…

Also, optimale Ausgangsbedingungen für diese Fernreise!

 

In Ha Noi angekommen, drohte ich, symbolisch, an den Ausdünstungen der 22 Millionen Mopedräder zu ersticken; eine Landung in Paris hatte ich mit mittelmäßigen Ohrenschmerzen gut überstanden. Es war nicht heiß, sondern eher kühl in Ha Noi, ich trug einen Wollschal (!) auf der Straße und die Zeitverschiebung von 6 Stunden versuchte ich täglich um 10 min zu verschieben.

Wir waren 1 Tag vor Beginn der Gruppentour angereist, was mir jetzt unendlich zugute kam: ich konnte mich teilweise schon anpassen in meinem tollen Zustand. Dass ich mit diesen Worten nicht übertreibe, werde ich später noch ausführen.

 

Ich fühlte mich wohl. Es waren nette Menschen in einer netten, geordneten Stadt – abgesehen von den für uns Österreichern ungeordneten Verhältnissen auf den Straßen, es gab nettes Essen in netten Lokalen und nette Hotels.

Auch der Anblick der Kindergartenstühlchen und Kindergartentischchen der zahlreichen Garküchen entlang der Straßen, auf welchen sich die Vietnamesen beim Essen in gefalteter Haltung zu entspannen schienen, ließ mich heimelig fühlen.

Die Klimaanlage mussten wir auf 24 Grad im Zimmer stellen, um nicht zu frösteln und jeden Luftzug vermeiden, was angesichts der permanenten Gebläse in geschlossenen Räumen ein Kunststück ist.

In Ha Noi schauten wir Ho Chi Minhs Mausoleum, das gleich neben unserem Hotel lag, an. Dort defilierten wir im Gänsemarsch durch den auf 18 Grad gekühlten Raum, es war sehr wie in Peking im Mausoleum von Mao; nur dass hier die Menschenschlangen noch nicht so lang waren.

Ich bestellte permanent grünen Tee, welchen ich als „Cha Viet“ aussprach, wobei ich nicht immer die richtige der 4 Tonhöhen, so wie im Kantonesischen, erreichte und dadurch ratlose Gesichter erntete.

Vietnamesen sprechen Englisch, welches nur sie verstehen und wir sprechen Englisch, dessen Aussprache nur uns etwas bedeutet. Demnach war die Kommunikation perfekt. Ich konnte bald 10 Wörter lesen und übersetzen – Nudeln, Reis, Schwein usw. Wichtige halt. Dank eines Franzosen schreiben die Vietnamesen seit dem letzten Jahrhundert mit unseren Buchstaben mit Akzentzeichen, deren Aussprache ich nicht deuten konnte. Hätten wir Straßennamen in Kantonesisch vorgefunden, wäre unsere individuelle Stadttour unmöglich gewesen!

 

Mein Viet Nam-Bild, durch die Kriegsberichte der Medien jahrzehntelang geformt, erlahmte. Ein neues Volk mit neuem Enthusiasmus, neuem Erfindergeist und neuen Errungenschaften erwartete mich. „Wir vergessen die Vergangenheit“, sagte Minh, unser Reiseleiter im Süden. „Es ist vorbei, wir schauen nach vorne, wir sind niemandem böse, wir haben wieder Beziehungen mit Amerikanern“ – und diese sind nicht nur wirtschaftlicher Natur. Unzählige Amerikanische Touristen schleppen sich durch das „Kriegsreste-Museum“ – der Name ein Hohn für mich; hatte er doch vor einiger Zeit noch „Kriegsverbrechen-Museum“ gelautet. Sie schleppen sich auch durch Cu Chi, wo ihr Land 1975 dem ausdauernden Partisanenkrieg erlegen war.

Niemals passen sie in einen der Eingänge zu dem 250 km langen Tunnelsystem unter der Stadt, welches den dort ansässigen Vietnamesen 20 Jahre lang Aufenthaltsort war. Stell Dir das vor! Krankenhäuser, Versammlungsräume in 3 Etagen, WCs, Waschräume, Küchen mit gestaffeltem Rauchabzug; auch Schwangere lebten dort. Es gab nur giftige Petroleumlampen; gebaut wurde in der Nacht. Es wurden Fallen konstruiert, welche schon den Kriegern Dschingis Khans einst den Garaus gemacht hatten.

Ein Eingangsschacht ist für „westliche“ Besucher erweitert und ein 20 m (nur !) langer Gang führt wieder an die Sonne. Als ich kein Licht am Ende sah, musste ich wieder umkehren. Nichts für mich also.

 

Heute ist 30 Jahre Frieden, ein seltener Zustand in der Geschichte Viet Nams. 1000 Jahre beherrschte China den strategisch so ausgezeichnet liegenden Landstrich, durch welchen die bedeutenden Ost-West-Handelswege führen mussten. Dann kamen die Franzosen, dann der Kommunismus und dann die Amerikaner, die dem Ganzen den Garaus machen wollten. Dann noch ein Krieg mit dem Nachbarn Kambodscha.

Viet Nam liegt in der Skala der Liste der wirtschaftlich armen Länder an 51. Stelle, gerade ein nicht 3.-Welt-Land.

Die Leute sind unglaublich fleißig, haben mehrere Jobs, viele Frauen verwalten das Geld, behaupten sich.

Zurückblieb von Agent Orange und Napalmgeschossen ein Gendefekt an Menschen in bestimmten Gebieten, deren Nachkommen körperlich bis geistig behindert sind. Dies betrifft in einer einzigen Familie oft 90 % der Kinder – ein Beispiel: wir sahen ein Foto; ein Vater war von zwei seiner Kinder umringt – beide lugten wie Fratzen links und rechts am Bildrand hervor. Begleittext: sechs seiner Kinder sind physisch und intellektuell beeinträchtigt wie diese beiden.

Ich lugte vorsichtig um mich im Kriegsreste-Museum, ob nicht eine/r der BetrachterInnen weinen würde? Doch ich sah keine. Wie genau sehen die Menschen solcherlei Bilder an? Was denken sie dabei? Welche Wirkung hat es auf sie? Die Personen eilten nicht, sie suchten nicht auf dem kürzesten Weg aus dem Museum zu kommen.

Meine Frage an Minh war. „Wie könnt Ihr den Amerikanern vergeben?“

 

Wir waren immer unterwegs. Von Norden nach Süden mit 2 Inlandsflügen, welche beide um 6 h morgens starteten, auch an Neujahr, was bedeutete, dass der dringend notwendige schöpferische Schlaf auf der Strecke blieb.

Kaiserstädte, Hauptstädte, Tempel, Pagoden, Regenwald – herrlich.

Am 1. Tag der Gruppenreise hatte eine Dame einen Kreislaufzusammenbruch, musste ins Krankenhaus geliefert werden. Sie war vom heißen Süd-Viet Nam zu uns gestoßen.

Tags darauf trat bei einem jungen Mietreisenden plötzlich Fieber auf, er musste sich den Abend lang auskurieren. Zwei Tage später ereilte meinen Mann dieselbe Symptomatik wie mich: er hatte auch Fieber und Halsschmerzen…

Es stellte sich heraus, dass, als ich mich besser zu fühlen begann, ich bei ihm dieselbe Tuben-Therapie anwenden musste wie bei mir…

 

Wenn Du jetzt ein Bild mit Gefühlen vom teilweisen Leben dieses Landes im Kopf hast, so ist meine Schilderung gelungen!

 

Susanne Wallner


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Letzte Änderung: 2010-02-18 - Stichwort - Sitemap