In Purkersdorf gibt es eine vielbeachtete Alternative zur Regelschule: die Montessoriklasse. Seit einem Jahr können die Kinder der "Primaria" ihren Weg sogar in einer "Sekundaria" fortsetzen, es gibt also die Möglichkeit, die gesamte Grundschulzeit in Montessorieinrichtungen zu verbringen. Mit den Lehrerinnen Susanne Reichel und Susanne Steinbacher sprach Karl Berger.
Frau Steinbacher, Frau Reichel, was unterscheidet Montessori-Pädagogik vom Regelunterricht?
Das wesentlichste: Montessori-Pädagogik ist eine Pädagogik vom Kind aus. Es müssen nicht alle Kinder zum selben Zeitpunkt das selbe lernen, sondern sie lernen das, was ihrem individuellen Entwicklungsstand entspricht und sie daher im Moment gerade am meisten interessiert. Der Lehrer hat die Funktion eines Begleiters und Beobachters. Der Montessori-Pädagoge ist bemüht, dass wahres Lernen stattfinden kann.
Was heißt "wahres Lernen"?
Wahres Lernen bedeutet im Idealfall, dass der Lernimpuls vom Kind kommt, das sich aus eigenem Interesse einer Tätigkeit zuwendet. Zum Beispiel aufgrund einer sensitiven Phase.
Sensitive Phase bedeutet was?
Maria Montessori hat herausgefunden, dass es sogenannte sensitive Phasen gibt, in denen Kinder besonderes Interesse entwickeln, sich besondere Fähigkeiten, wie zum Beispiel Lesen, Mathematik anzueignen.
Typisch für Montessori-Pädagogik ist das spezielle Material ?
Das Material ermöglicht, die einzelnen Lernschritte zu isolieren, so dass etwas Großes in kleinen Schritten erlernt werden kann. Aber wichtiger als das Material ist die vorbereitete Umgebung mit entspannter Lernatmosphäre. Es ist dabei besonders wichtig, dass man ausreichend Raum zur Verfügung hat.
Es gibt die Befürchtung von Eltern, dass ihre Kinder in Montessori-Klassen zuwenig lernen, beziehungsweise nicht lernen, mit unserer Leistungsgesellschaft zurecht zu kommen.
Leistungsdruck gibt es bei uns nicht. Ich glaube nicht, dass man unter Druck leichter lernen kann. Im Gegenteil, die moderne Gehirnforschung zeigt uns, wie sehr Druck die Lernfähigkeit blockiert. Die Angst der Eltern ist verständlich, obwohl die Wirtschaft zunehmend Fähigkeiten verlangt, die in der Regelschule nicht so erworben werden können: Teamfähigkeit, soziale Kompetenz. Man kann heute gar nicht sagen, wie es in der Berufswelt von morgen ausschauen wird, da wird Kreativität wichtig sein. Da ist es viel wichtiger, dass die Persönlichkeit der Kinder gestärkt bleibt, und dass sie gelernt haben, selbstbestimmt und von sich aus zu lernen.
Dann sagen Eltern, das ist alles sehr schön, aber mein Kind kommt dann in der AHS nicht mit, wenn es auf einmal Noten gibt, und viel mehr verlangt wird.
In der Volksschule macht nicht der
Stoff, der verlangt wird, den Druck. Den Druck machen die Noten und
das Ausleseverfahren. Und den Druck macht die Tatsache, dass im
Gleichschritt gelernt werden muss, dass viele nicht im individuell
geeigneten Tempo arbeiten können. Die Kinder in den
Montessori-Klassen erfüllen den Lehrplan. Allerdings erachten
wir es - nicht nur für Montessorikinder - für verfrüht,
die Selektion in "leistungsstarke" und "leistungsschwache"
Kinder bereits im Alter von zehn Jahren vorzunehmen. Wir plädieren
dafür, dass der Übertritt in eine andere Form der
Sekundarstufe erst mit 12 Jahren geschieht, und die Selektion der
Kinder erst mit 15 Jahren vorgenommen wird.
Ein erster Schritt in diese Richtung
ist unser Schulversuch mit dem "Schleusenjahr", das einen
fließenden Übergang ermöglicht.
In Purkersdorf gibt es die seltene Einrichtung einer Sekundaria, also einer Montessori-Oberstufe?
Das ist leider noch ein ganz seltenes Angebot, in Niederösterreich bisher einmalig. Dadurch können Kinder durchgehend vom sechsten bis zum fünfzehnten Lebensjahr eine Montessori-Einrichtung im Rahmen der öffentlichen Schule besuchen.
Größere Klassen, besserer Betreuungsschlüssel, genießen Montessori-SchülerInnen Privilegien auf Kosten der Steuerzahler?
Unterm Strich ist es wahrscheinlich gar
nicht teurer, weil die herkömmliche Klassen-
ausstattung sehr teuer ist. Der Raum
kostet sicher mehr. Aber auch wenn man diese "Privilegien"
nicht für alle verordnen kann, ist es doch wichtig, dass sich
zuerst im Kleinen etwas ändert, damit sich auch im Großen
etwas verbessern kann. Das ist das Wesen der Schulversuche, dass sie
dann auch den anderen etwas bringen.
Warum brauchen Montessoriklassen mehr Platz?
Teilweise ist das Material so groß,
dass die Kinder nicht auf einem Tisch arbeiten können, sodass
sie auf Arbeitsteppiche ausweichen müssen.
Außerdem brauchen wir auch
unbedingt einen großen runden Teppich.
Dieser erfüllt verschiedene
wichtige Funktionen, ersetzt unter anderem die Tafel.
Das Zusammensitzen der Kinder im Kreis
ist sehr wichtig.
Wir müssen die Lernmaterialien für
alle Schulstufen inklusive Vorschule im Raum bereitstellen.
Notwendig wäre auch ein Raum, wo
sich Kinder zurückziehen können, um ganz in Ruhe und
konzentriert arbeiten zu können. Im Moment haben wir leider nur
einen Raum. Und wir müssen leider Kinder aus Raummangel
ablehnen.
Danke für das Gespräch.