Seltsamerweise fiel mir beim Einsteigen der Unfall, vor fast drei Jahren bei Unterpurkersdorf, ein. Und dass es damals schon geheißen hat, dass bei Ausbildung und Sicherheit bei der ÖBB möglicherweise zu rigoros gespart wird.
Auf halber Strecke zu Unterpurkersdorf bremste der eben erst losgefahrene Zug etwas ruckelnd. Und dann geht es sehr schnell: Ein Güterzug braust von hinten heran. Er streift unseren Waggon. Der Waggon wird – nicht all zu schnell – umgekippt. Trotzdem viel zu schnell um irgendwie reagieren zu können. Die Fahrgäste und das Gepäck fallen und Rutschen auf die linke Seite. Der Zug fällt nicht ganz um. Er bleibt an den Oberleistungsmasten hängen. Die Stimmung ist seltsam. Weniger das Glück, eben erst ein Zugunglück unversehrt überstanden zu haben, (im letzten Wagen gab es keine Verletzten) sondern die Frage, wie man jetzt rechtzeitig nach Wien kommt, steht im Vordergrund. Eifrig werden Handys benutzt. Wir wissen nicht, ob wir es wagen sollen, bei den Fenstern hinauszuklettern. Einerseits könnte der Zug ja noch ganz umfallen und uns beim Hinausklettern erschlagen. Andererseits scheint die Oberleitung beschädigt und hat möglicherweise den Zug unter Strom gesetzt. Und welche Folgen es hat, wenn man gleichzeitig den Zug und den Boden berührt, weiß ich nicht, weil ich in der Schule weder bei »Elektrizität« noch bei »Bahnunglücken« besonders aufgepasst habe. Ein junger Mann warnt jedenfalls eindringlich vor selbständigem Aussteigen.
Nach überraschend kurzer Zeit sind die ersten Feuerwehrleute da, und helfen uns beim Fenster raus zu klettern.
Später heißt es, der Güterzug wäre langsam gewesen. Mir kam er rasend schnell vor. Er hat unseren Zug nicht von hinten gerammt. Es gab keinen heftigen Ruck, sondern er hat ihm seitlich touchiert und dadurch umgeworfen. Die vorderen zwei Waggons hat es offenbar noch etwas heftiger erwischt. Einige Menschen können nicht selbst aus dem Zugwrack klettern. Es gibt Verletzte. Immer mehr Rettung, Polizei und Feuerwehr treffen ein. Ich gebe einem Polizisten Namen und Adresse und kann gehen. Langsam dämmert es mir, dass ich lebe und unversehrt bin, und dass das nicht selbstverständlich ist.
Um 11:40 fahre ich von Wien wieder zurück. Der Zug fährt nur bis Hütteldorf, dann Schienenersatzverkehr. Ich kann mich überraschenderweise nicht fürchten. Eine Frau zieht sich die Schuhe aus und legt die Füße bequem auf den Sitz. Diese vertrauensvolle Lockerheit im Umgang mit der Eisenbahn will sich bei mir allerdings nicht einstellen. Ich fürchte, noch lange nicht.
Karl Berger