Purkersdorf Online

Zusammenstoss in Purkersdorf


In ihrer Ausgabe 7/2004 brachte die Zeitschrift "EISENBAHN" eine Zusammenfassung zum Purkersdorfer Zugsunglück vom 12.5.2004. Wir danken für die Genehmigung zum Abdruck.

Am 12. Mai 2004, um 18.28 Uhr, kam es im westlichen Einfahrbereich des Bahnhofes Unter Purkersdorf auf der Weiche 63 zum Zusammenstoss (Flankenfahrt) der Züge 20243 und 41117. Zugdaten:
  • 20243: S 50 von Tullnerbach-Pressbaum nach Wien Westbahnhof, 4030.235 + 7030.246 + 6030.246 (Steuerwagen voraus), 143 t, 70 m, 20 Reisende;

  • 41117: Hamburg-Waltershof - Sopron Budapest Jozsefvaros, 1116.159, 1143 t, 574 m, 29 Wagen.

In Purkersdorf sollte der aus Richtung Tullnerbach-Pressbaum auf Gegengleis 2 kommende, um 67 Minuten verspätete Zug 41117 dem auf Regelgleis 1 fahrenden Schnellbahnzug 20243 vorfahren. Zu diesem Zweck war für den Zug 41117 eine Zugstrasse von Streckengleis 2 nach Bahnhofsgleis 1 des Bahnhofes Unter Purkersdorf, Einfahr Hauptsignal (ES) "frei mit 40 km/h" Ausfahrhauptsignal (AS) "frei", eingestellt. Das für den Zug 20243 auf Streckengleis 1 gültige Einfahrvorsignal (EVS) befand sich in Stellung "Vorsicht", das ES Y in Halt-Stellung.

Beim planmässigen Halt in der Haltestelle Purkersdort-Gablitz überfuhr der Schnellbahnzug das Bahnsteigende und das am Bahnsteigende situierte, Halt zeigende ES Y trotz eingeleiteter Schnellbremsung um zirka 50 m. Unbeschadet davon setzte der Zug nach dem Fahrgastwechsel seine Fahrt fort und näherte sich auf Gleis 1 dem Einfahrweichenbereich. Fast parallel fahrend näherte sich auch der Zug 41117, auf Streckengleis 2 fahrend, dem Bahnhof Unter Purkersdorf bei frei zeigendem EVS und ES. Während des Traversierens nach Gleis 1, über die Weichenverbindung 64/63, kam es auf der Weiche 63 (Gleis 1) im Km 12.300 zur Flankenfahrt mit Zug 20243. Der Steuerwagen 6030.246 stiess dabei mit einer Geschwindigkeit von 38 km/h gegen die 1116.159 des Zuges 41117, der zu diesem Zeitpunkt mit einer Geschwindigkeit von 43 km/h fuhr. Durch den Zusammenstoss entgleiste das Triebfahrzeug mit drei Achsen, der nachgereihte Wagen (Sggrs, sechsachsig) 33 88-495 1243 - Container von Hamburg-Waltershof nach Sopron - stellte sich auf und wurde geknickt, alle Fahrzeuge des Schnellbahnzuges 20243 gelangten in seitliche Schräglage. Beim Zusammenstoss wurden elf Personen - einschliesslich Zugmannschaft - leicht verletzt.

Unfallursache waren unerlaubtes Überfahren des Halt zeigenden ES Y durch den Zug 20243 und anschliessend unerlaubte Fortsetzung der Fahrt ohne Zustimmung des Fahrdienstleiters.

Die Westbahnstrecke war bis 14. Mai 2004, 21.08 Uhr, unterbrochen. Als erste Züge verkehrten der EC 23 und der EN 466 wieder regulär. Die Befahrbarmachung der Strecke dauerte relativ lange. Die Streckenunterbrechung erforderte die Umleitung der EC/EN über die Vorortlinie Tulln, Schienenersatzverkehr mit Autobussen für die IC/ICE zwischen Wien West und St. Pölten und für die Regionalzüge zwischen Hütteldorf und Tullnerbach-Pressbaum.

Die Qualität des Umleitungsverkehrs, vor allem der Ersatzverkehr mit Bussen, war mehr oder weniger zufriedenstellend. So fanden etwa Autobuslenker die Bahnhöfe nicht: Ein Bus fuhr aus diesem Grund sogar statt nach St. Pölten bis Linz weiter. Eigenartig war, dass mit Ausnahme der Züge mit Autotransportwagen, die ohne Stürzen über den Handelskai umgeleitet wurden, alle anderen Züge über die Vorortlinie geführt wurden. Entgegen früherer Praxis in einem solchen Fall, wurden die Züge dermal in Wien Westbahnhof nicht verkehrt aufgestellt und von der Reserve bis Penzing vorgezogen, was einen Lokomotivwechsel erspart hätte, sondern fuhren normal bis in den Bahnhof Hütteldorf. Hier wurde das Triebfahrzeug umgesetzt und nach neuerlicher Bremsprobe konnte der Zug wieder zurück nach Penzing und auf die Vorortlinie fahren. Die Betriebsabwicklung wurde dadurch allerdings nicht beschleunigt!

Verunsicherung löste eine Meldung im Internet aus, nachdem es sich bei dem führenden Steuerwagen 6030.246 des Zuges 20243 um ein bereits kassiertes Fahrzeug gehandelt hätte, wobei unterschwellig die Ursache des Überfahrens des Haltepunktes herauszuhören war. Die ersten Untersuchungen der verunfallten Triebwagengarnitur haben keine Hinweise auf ein Bremsversagen ergeben. Ein solches wäre auch nicht unfallkausal gewesen. Unbeschadet davon war der 6030.246 keineswegs ausgemustert. Wie aus unserer Berichterstattung bekannt ist, hatte der 4030.246 am 17. November 2001 einen Zusammenstoss in Wien Zvbf mit der 1044.017 und wurde aufgrund seiner schweren Beschädigungen kassiert. Am 21. November 2001 hatte der 4030.235 einen Zusammenprall mit einem Traktor zwischen Wörschach und Liezen, wobei der Steuerwagen 6030.235 schwer beschädigt und in der Folge gleichfalls kassiert wurde. Mit den weitgehend unbeschädigt gebliebenen 4030.235 und 7030/6030.246 wurde eine neue Garnitur zusammengestellt, die jetzt Totalschaden erlitt.

Obwohl im konkreten Fall nicht unfallverursachend, ist dazu aber doch einiges anzumerken. Es ist bekannt, dass die Triebwagenzüge der Reihe 4030.2 hinsichtlich ihrer Bremseigenschaften - vorsichtig ausgedrückt - als sensibel bezeichnet werden müssen, was sich aus verschiedenen Gründen gegen Ende ihrer Nutzungszeit jetzt noch deutlicher zeigt. Ein Überfahren des Haltepunktes von ET-4030.2-Garnituren kommt nicht selten vor. Dieses Problem - egal ob durch tatsächliches Bremsversagen oder Bedienungsfehler der Bremse - ist seit langem bekannt. Aus diesem Grund wurden in die 6030.229 bis 235 vorübergehend Magnetschienenbremsen eingebaut. Warum dieser Umbau nicht weiterverfolgt und die bereits eingebauten Mg-Bremsen wieder entfernt wurden, ist unbekannt. Tatsache ist, dass im gegenständlichen und in zahlreichen ähnlichen Fällen mit einer Mg-Bremse das Überfahren von Signalen zu vermeiden gewesen wäre.

Besonders bemerkenswert ist dies im Zusammenhang mit der Beschaffung der neuen Triebwagenzüge der Reihen 4023/4024, die bekanntlich mit grössten Bremsproblemen behaftet sind und dennoch aus Kostengründen mit keiner Mg-Bremse ausgerüstet wurden!

Beim Abtransport der Schadwagen in der Nacht vom 14./15. Mai 2004 durch den Hilfszug 96012 von Unter Purkersdorf nach Floridsdorf kam es zweimal zu Entgleisungen des Niederflurwagens, auf dem der ET 4030.235 verladen war. Ein erstmaliges Aufsteigen des führenden Drehgestells des Niederflurwagens im Bereich des Bahnhofes Meidling, vermutlich infolge ungleichmässiger Belastung, wurde vorn begleitenden Hilfszug sofort behoben. Um 3.51 Uhr kam es jedoch im Bereich Wien Matzleinsdorf auf Gleis 1 bei einer Geschwindigkeit von 5 km/h neuerlich zu einem Aufkippen des Niederflurwagens, wobei der verladene 4030.235 abstürzte und in Schräglage geriet. Die Aufgleisung und neuerliche Verladung des Triebwagens erfolgte mit Hilfe von zwei Kränen.

(ho)


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Letzte Änderung: 2004-10-13 - Stichwort - Sitemap