Bibliotheken genießen u.a. den Vorzug, im Jänner über das Ranking der "Unworte des Jahres" durch die "Gesellschaft für deutsche Sprache" informiert zu werden.
Bemerkenswert an der Entscheidungsfindung der Jury für das Jahr 2011 war, dass der Begriff "Gutmensch" auf Rang zwei der "Unworte" platziert wurde; damit wurde endlich eine Formulierung auf die Füße gestellt, die viel zu lange auf dem Kopf balancieren musste. Zumal, da der Ausdruck´"Gutmensch" als rhetorischer Kampfbegriff gegen Menschen eingesetzt wurde, die die Überzeugung vertreten, dass es zu den realen Entsetzlichkeiten dieser Welt, die ihnen und anderen tagtäglich zugemutet werden, doch Alternativen geben müsse.
Es mag ja sein, dass sich im Paläolithikum der Empörungspolitik (klein-)bürgerliche Typen mit pastoralem Habitus tummelten, die sich bereits dann als "Gutmenschen" verstanden, wenn sie die eigenen Sünden dadurch rechtfertigten, dass sie sie bekannten. Denn auf diese Weise haben sie ihre moralische Hegemonie begründet, für die sie indes selten die Beweise liefern mussten. Sie verdankten also ihre Scheinmoral der Pose, ihre moralischen Banalitäten und Oberflächlichkeiten so grell ausgeleuchtet zu haben, dass sie wie ethische Tiefen erscheinen mussten.
Von da an jedoch nahm die Begriffskarriere den Verlauf von der ungefährlichen Lachnummer zum "Kampfbegriff gegen Andersdenkende mit hohem Diffamierungspotential" (Copyright: "Gesellschaft für deutsche Sprache"). Die Tatsache, dass Menschen die Unwürdigkeiten und Ungerechtigkeiten eines marktradikalen Systems kritisieren und Änderungen einfordern, gilt Rechtspopulisten und -Radikalen sowie ihrem medialen Personal heute als hinreichender Grund, sie als "Gutmenschen" zu diskreditieren. So erhalten also Menschen, deren Verstand und Phantasie noch nicht von den Verführungen des Systems korrumpiert sind, und die sich eine andere, bessere, gerechtere Welt vorstellen können, umgehend das Etikett "Gutmensch" auf ihre Stirne geklebt.
Wenn also "Gutmensch" heißt, z. B. eine menschenverachtende Asylpolitik auch als solche zu benennen, "Krone" und "Heute" als Zentralorgane von Hetze und Niedertracht zu begreifen oder im angeblichen "gesunden Volksempfinden" die kranken Wurzeln zu erkennen und freizulegen, dann sollte mensch sich getrost als "Gutmensch" bezeichnen lassen.
Manfred Bauer