Ein Text von Götz Schrage auf Facebook
@Fluchtrouten - Volkshilfe Neubau. Ich habe jetzt ein paar Wochen über meine Erfahrungen in der Volkshilfe geschwiegen. Ich habe nicht nur ein paar Wochen, ich habe ein paar Tausend Tränen lang geschwiegen. Keine Sorge, ich halte das alles aus mit den weinenden Frauen in der Beratung. Ich bin da stärker, als ich dachte, jemals sein zu müssen und ich bin wütender, als ich es jemals sein wollte.
Das eisige Klima ist bereits zu spüren und zwingt mich zu ungeheuerlichen Obszönitäten. Ich muss mit Müttern, die ihre Kinder verloren haben üben, wie sie das erstinstanzlich optimiert erzählen sollen und das halte ich für obszön. Ich muss mit Frauen, die selbst das Leid der Genitalverstümmelungen erfahren haben und die ihre Tochter genommen haben und weggelaufen sind, damit den Töchtern nicht das selbe passiert, immer weiter und weiter, bis sie hier aufgenommen wurden. Ich muss diese Frauen überzeugen, ihre Scheu zu verlieren und zu sagen, was zu sagen ist, all das, was sie eigentlich niemals aussprechen wollten zu sagen, weil es relevant sein könnte für ihr Verfahren. Und dieses Drängen darüber zu sprechen, Loben wenn sie es stringent und klar erzählen, was sie niemals erzählen wollten, dieses Loben empfinde ich als obszön.
Ich habe weinende Frauen vor mir sitzen, die in ihrem Dorf weniger wert waren als ein Schaf und die dann noch sexuellen Missbrauch erleben mussten auf der Flucht. Erst kürzlich ist mir in so einem Fall ein Dolmetscher aus dem Raum gegangen, weil ihm das alles so unangenehm war und das am Tag vor der erstinstanzlichen Befragung. Und weil alles so eilig und wichtig war und weil es bei dem Termin ja quasi um alles geht, musste dann die fünfzehnjährige Tochter den sexuellen Missbrauch ihrer Mutter übersetzen. Menschen in so eine Lage zu bringen, wie anders als obszön kann ich das empfinden.
Und was ich am obszönsten finde ist, dass all diese Frauen über genau diese Fluchtroute geflohenen sind, über deren Schließung unsere Regierung so stolz ist. Mir ist schon sehr bewusst, dass ich keinen repräsentativen Querschnitt der Asylwerber in der Beratung habe. Mir ist sehr wohl bewusst, dass ich genau die Fälle bekomme, wo selbst harte Rechte zugeben müssten, dass Individuelle Asylgründe zu argumentieren sind. Nur wie zur Hölle sollen diese Frauen zukünftig zu uns kommen? Wenn wir von der Volkshilfe Neubau sicher mehr als 100 Frauen in der Beratung hatten, wie viel Tausende werden es in Österreich sein und wie viel Zehntausende erst in Deutschland. Und all diese Frauen sind genau über diese Fluchtroute zu uns gekommen und genau diese Fluchtroute wurde geschlossen ohne eine Alternative zu schaffen.
Die Frauen, die niemals bei uns weinend in der Beratung sitzen werden, werden wohl in einem Drecksland versklavt werden, werden wohl auf irgendeiner riskanten Route ersaufen, oder in ihren Heimatländern krepieren. Österreichs aktueller Beitrag besteht darin, stolz zu sein auf die Schließung der Fluchtrouten. Soll das offizielle Österreich ruhig noch ein paar Monate stolz sein, weil schämen wird man sich noch ein paar Jahrzehnte lang müssen.