Die Gedenkstätten am Purkersdorfer Friedhof als Teil einer europäischen Erinnerungskultur
Dr. Christian Matzka
Die Gedenkstätten am Purkersdorfer Friedhof stellen ein einzigartiges Ensemble der Erinnerung, bestehend aus fünf Denkmälern, die an die Purkersdorfer Holocaustopfer, an die Schrecken der Kriege, an die Befreiung vom Nationalsozialismus, und an die Vertreibungen aus Brno/Brünn erinnern sollen, dar. Das zwanzigste Jahrhundert war eine Epoche der totalitären und autoritären Systeme, des Nationalismus mit schrecklichen Erlebnissen für die einzelnen Menschen. Nach 1945 hoffte man in Europa zu einer dauerhaften Friedensordnung zu gelangen. Erst mit der Öffnung des Eisernen Vorhanges, dem Fall der Berliner Mauer und dem darauf folgenden Ende des Kalten Krieges konnte das Friedensprojekt der Europäischen Union auch auf viele Staaten in Mittel- und Osteuropa ausgeweitet werden. Internationale Verflechtungen in Wirtschaft und Politik lassen Weltkriege unwahrscheinlicher werden. Trotzdem ist immer auf die Erhaltung des Friedens zu achten und die Erinnerung, die Vergegenwärtigung der Vergangenheit, unbedingt notwendig, um die friedliche Zukunft zu gestalten.
Um zu einer neuen Erinnerungskultur zu gelangen, bedarf es die subjektiv und kollektiv wahrgenommenen historischen Prozesse aus dem aktuellen, gegenwärtigen Standpunkt zu betrachten. Die Sichtweise unter den Erkenntnissen aus heutiger Sicht, den Zielen einer Politischen Bildung, gemäß den Indikatoren für eine Europäische und auch Globale Identität, muss die Grundlage der Betrachtung der historischen Vorgänge sein. Die Inhalte einer neuen Europäischen Identität, in die die nationale Identität eingebettet ist, sind Vielfalt, Identitäten, Menschenrechte, nachhaltige Entwicklung, Globalisierung, Nord- Süd Teilung, Friede und Konflikt und globale Partizipation der Menschen.
Betrachten wir historische Vorgänge aus diesen gegenwärtigen Perspektiven, dann kommt man zwangsläufig zu andern Erkenntnissen, als wenn historische Denkrichtungen angewendet werden. Ein Beispiel aus der aktuellen politischen Entwicklung soll dies illustrieren. Im Jahre 2006 wurde in Kärnten das Plakat mit dem Slogan Wollen Sie eine endgültige Lösung der Ortstafelfrage? affichiert. Der historische Zusammenhang mit Parolen der Nationalsozialisten wird sichtbar. Betrachten wir das Plakat aus der Sicht der Geschichte und dabei aus einem bestimmten politischen Blickwinkel, dann werden wir dem zustimmen. Unterstellen wir unserer Betrachtung die Erklärungen der Menschenrechte, die Konzepte von Vielfalt, Friede und Demokratie, dann muss diese Wortwahl und auch das transportierte politische Ziel sofort abgelehnt werden.
Im Sinne einer neuen Erinnerungskultur und einer aktuellen Sicht von Geschichte erscheinen die Purkersdorfer Gedenkstätten in einem neuen Licht. Alle Denkmäler sind Opfern gewidmet. Da ist Vorsicht geboten. Wer ist Opfer in der Geschichte, wer wurde zu Tätern? Bei dieser Betrachtung gibt es eine subjektive Sicht, die das Einzelschicksal beleuchtet. In der Folge sollte es aber eine Einordnung der Einzelwahrnehmung der Geschichte in einen gesamthistorischen Zusammenhang stattfinden und eine objektive Betrachtung der Vorgänge möglich sein. Die Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei erfährt dadurch eine andere Betrachtung. Aus dem Blickwinkel der Menschenrechte ist die Vertreibung als Unrecht einzustufen, im gesamthistorischen Zusammenhang kann aus der zeitlichen Distanz eine andere Sicht entstehen. Erst wenn auf beiden Seiten in Österreich und Tschechien eine neue Erinnerungskultur Platz greift, wird es ein Ende der populistischen Agitation zu diesem Thema in der Tagespolitik geben.
Es gab viele Opfer des Nationalsozialismus und des Krieges, aber auch Menschen, die das System und den Krieg unterstützten. Die sowjetischen Truppen kamen als Befreier, wurden aber später als Besatzer erlebt. In Purkersdorf gibt es Bilder von sowjetischen Soldaten mit Kindern und Menschen aus Purkersdorf, Erinnerungsfotos an die Einquartierung, Zeitzeugenberichte von der Hilfsbereitschaft, die Versorgung der Bevölkerung sicher zu stellen, aber auch die Erzählungen von Übergriffen auf die Bevölkerung.
Ein friedliches Miteinander ist in Europa bei einer neuen Erinnerungskultur möglich. Die deutsche und französische Regierung haben es am 11. November 2009 der Öffentlichkeit demonstriert. Die langjährigen Siegesfeiern in Paris sind einer Feier zum Ende des Ersten Weltkrieges gewichen, an der auch erstmals die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel teilgenommen hat.
Die Gedenkfeier am Purkersdorfer Friedhof am 13. November 2009, veranstaltet von der Stadtgemeinde Purkersdorf gemeinsam mit SchülerInnen und Lehrerinnen der AHS Purkersdorf, stellte die Erinnerungskultur in den Mittelpunkt und sollte die Bedeutung der Purkersdorfer Gedenkstätten für eine europäische friedliche Entwicklung zeigen.