Gedichte von Anton Wildgans mit Bezug zu Purkersdorf –Unter Tullnerbach
Phantastische Nacht
In der Mansarde zu Untertullnerbach 1913
Ein Fragment
Wenn ich, von meinen Geistern überwältigt,
Tiefnachts den Blick ins Licht der Kerze hebe,
Verdichtet sich um mich, vertausendfältigt
Geräusch der Stille sich, daß ich erbebe.
Aus der vertraut-gewöhnlichen Kontur
Entwachsen die entferntern Gegenstände,
Ins Körperlose wandeln sich die Wände,
Unheimlich tickt die kleine Taschenuhr,
Als zöge draußen seiner Schritte Kreis
Einer um mich, der meiner Stunde weiß.
Ja, Stunde du, die wie ein Purpurtor
Am Ende dieses grauen Weges kluftet! –
War dies ein Schluchzen? Oder saust mein Ohr? –
ist dies die Linde draußen, die so duftet?
Oder sind Kränze nahe aufgeschichtet?
Ist diese Kerze, die mich mild belichtet,
Die erste, die schon brennt? Und sind die andern
Noch nicht entzündet oder schon verbrannt?
Pulst noch das Blut in dieser meiner Hand?
Verweil’ ich hier noch? Bin ich schon im Wandern?
So atmest du am Rand der Ewigkeit,
Die ihrer Fluten kühle Schauer sendet.
Dann wieder ist’s, als stünde rings die Zeit
Um dich in Erz gegossen! Und geblendet
Senkst du den Blick vor so viel Stillestand
Und bist von einem großen Glück versteint;
Oder dich dünkt, daß einer, den du einst gekannt,
Der deine Züge trägt, im letzten Zimmer weint –
Ganz fern im letzten Zimmer, wo vielleicht
Einer vor ihm liegt, den der Tod gebleicht...
Und bist dir nie so fremd wie in den Stunden,
Da dich das Überirdische berührt.
Da ist ein Irgendwas aus dir entbunden,
Das dich mit Flügelkraft dir selbst entführt.
In Schwere hilflos haftest du am Staube,
Indes dein heiliger Geist, die leichte Taube,
In Unerreichbarkeiten flügge wird.
Du blickst ihm nach und kannst es nicht erfassen,
Daß er, aus deines Alltags Ich entlassen,
Nach eigenen Gesetzen psalmodiert.
Oder bist du’s? Ist es dein eigen Planen,
Wenn aus der Wirrnis banger Brust empor
Von niegehörten Klängen dich ein Ahnen
Umwittert und umrauscht wie Geisterchor?
Sind’s deine Töne, die zum Lied sich sammeln?
Sinds deine Worte, die wie Fieberstammeln
Von deinen Lippen stürzen in die Hand,
Die zitternd sie mit treuen Federstrichen,
Freilich gedämpft, verschwommen und verblichen,
In die Vergänglichkeit des Stoffes bannt?...
Und dieses ist der Fluch, der auf uns lastet:
All unser Wirken mündet ins Entfernte.
Zum schweren Säen, nicht zu froher Ernte
Reicht unsre Kraft, wenn sie auch niemals rastet.
Wir setzen an den Weg, der uns bestimmt,
Den Meilenstein mit unsres Namens Kerben;
Doch wenn kein Zweiter unsre Straße nimmt,
So bleiben wir auf ewig ohne Erben,
Und weggewaschen wie ein Kreidestrich
Ist dies unendliche, dies arme Ich.
O dies Vergehen! Loos der Allzuvielen,
Die aus dem ewig-schwangern Schoße wimmeln!
Dumpfes Gelichter, das für Schweiß und Schwielen
Ein Leben fristet! Leben? Ein Verschimmeln
Ist ihnen Dasein, ein Zusammennisten
Von Wust und Unrat für den großen Räumer
Der Weltkloake, die nicht auszumisten!
Nur hie und da darin ein trüber Träumer,
Ein weggeworfnes Stückchen Spiegel, das
Den Himmel spiegelte in seinem Glas.
Nur spiegelte, nicht etwa wiederschuf!
Das Licht in seine Farben zwar zerstreute,
Jedoch kein Herz bestürzte und erfreute –
Ein Gaukler nur, Prophet auf Widerruf,
Dem vor der eignen losen Weisheit graut!
Eben nur Scherbe, blind und abgehaut
Von einem Ganzen! Einst vielleicht geschaffen
Und vorbestimmt zu eines Ewigen Gefäß,
Nun Firlefanz geworden einem Affen,
Daß er darin begrinse sein Gesäß...
Wer gibt, daß du nicht einer bist von diesen,
Gewähr dir? Was ist schon getan, vollbracht?
der Zeiten Tor springt auf, und Riesen
Stehn hoh vor dir in Geistesübermacht.
Und hatten auch in ihren fernen Tagen
Mitgeister viele, doch wo sind sie hin?
Kommt erst die große Flut, so leuchten, ragen
Nur mehr die Türm’ und Berge drüberhin,
Und alles andre, ob Palast, ob Hütte,
Sank in der Wasser ebnendes Geschütte...
Am Bahndamm unten läutet ein Signal,
Dreimal drei Schläge! – Wieder tiefe Stille.
Doch nun ein Brausen, und mit einemmal
Um Waldes Biegung nieder in das Tal
Ein Riesenwurm mit greller Feuerbrille!
Aus Eisennüstern Gischt und Purpurstrahl,
Ein jubelnd stürmender Gigantenwille,
Von Raum und Zeit, von Schwere und vom Fall
Die ewigen Gesetze aufzuheben –
Und Menschen lenken ihn! Das ist das Leben!!
Und du, in Daches modrigem Gebälk,
Du Grübler über unverbürgte Dinge,
Wirst unter Büchern und Papieren welk
Und schließest dich aus dem bewegten Ringe,
In dem der Menschen kühnes Wirken kreist!
Sei auf der Hut, daß es von dir nicht heißt:
Er ließ in Angst, den Geist nicht zu verlungern,
Der Sinne frohen Hunger ungespeist
Und so, ein unfruchtbarer Narr, den Geist
An Lebens rings gedecktem Tisch verhungern!
Und dann war Sommer
Und dann war Sommer – Ganz in Wiesen stand
Das weiße Haus, umschmiegt von Rosenranken.
Von tiefem Summen zitterte das Land.
Bis zu der Wälder schattenblauen Flanken,
Indessen Wind den gärend-hellen Brand
Reifender Saaten kühlte und von schwanken
Wispernden Rispen warme Wölkchen sträubte
Fruchtbaren Duftes, welcher fast betäubte.
O Himmel über uns, zerfließender Opal –
Im Grase liegen, wie auf einer Zille
Dahingetragen, und nur manches Mal
Aufschaun, wenn wolkenfern der weh und schrille
Schrei kreisender Bussarde, fein wie Stahl,
Ein Äderchen der schläfernd-süßen Stille
Durchschneidet – und aus Träumen sich besinnen,
Daß uns kein Strom, kein Nachen trug von hinnen.
Und wandern, wenn die Wälder müde sind
Und, sickernd durch der Wipfel dunkle Bauschen,
Das rote Gold die Stämme niederrinnt,
Mit jedem Schritt versinken in das Rauschen
Gehäuften Laubes, wie ein ängstlich Kind
Plötzlich erschauern und ein Wild belauschen,
Die sanfte Tierheit solchen stummen Wesens
Wie Lust verspürend nahenden Genesens.
Dann, durch den blauen Rauch der Wiesen hin,
Schritten wir still zu unserm Haus in Rosen.
Die Gräser bogen sich vor unsern Knien,
Und deiner liebevollen Hände Kosen
Glitt über ihre kühlen Spitzen hin,
Indessen letztes Licht sich in die losen
Spielenden Falten weißen Kleides schmiegte
Und in dem Dämmer um dein Haupt versiegte.
Und schlafen gehen – Worte voller Duft
Von aufgelösten blonden Frauenhaaren,
Trunken von Mondenlicht und Abendluft,
Die kühl und geisternd drin gefangen waren –
O schlafen gehen – Worte voller Duft
Weicher Gewirke, die von zarten, klaren
Belebten Schultern zögernd niederflossen,
Noch voll der Wärme, welche sie umschlossen.
In dies Gelöstsein, diese Müdigkeit
Wohlig erschöpfter und durchsonnter Glieder
Stieß nie der Sinne jähe Lüsternheit
Wie eines Geiers grelle Gier hernieder.
Wir waren keusch wie Tiere, deren Zeit
Noch nicht gekommen, und wie Kinder wieder,
Indessen über Hügeln fern herüber
Der Schein der Stadt erglühte, rot wie Fieber.
http://www.sonett-archiv.de/vz/Wildgans/index.html
Oh, sei nicht traurig, weine nicht, mein Kind,
Und laß uns scheiden, ohne es zu müssen.
Zwei Schmetterlinge nahm der Frühlingswind
Auf seine Schwingen, daß sie satt sich küssen.
Und jetzt ist Herbst. In allen Gärten sind
Die Äste schwer von süßen Überflüssen,
Und auf den Hügeln böllern die Salute
Dem schäumenden rotgoldnen Traubenblute.
In dieser üppigen Erfüllung Zeit
Mag auch die Liebe ihre Ernte tragen.
So laß uns stark und ohne Bitterkeit
Den letzten langen Kuß des Abschieds wagen
Und weise sein, eh unser Herz verschneit
Und Mühsamkeiten es wie Frost zernagen.
Die Frucht ersehnt, daß sie gebrochen werde,
Das Müdgelebte fault und wird Gebärde.
Noch wittert der Verwesung herber Duft
Nur leise mahnend, ohne zu zerstören.
Und in den Nächten wiegt sich noch die Luft
Klingend genug, die Sinne zu betören,
Indessen mächtig durch die Wälder ruft
Brünstiger Hirsche aufgeregtes Röhren.
Zu dieses Urlauts großem Orgeldröhnen
Ziemen nur Worte, welche freudig tönen.
So weine nicht, du blühendes Geschmeid,
Das ich um meine Einsamkeit gewunden.
Du bist so jung, für dich ist noch das Leid
Die Arzenei, um tiefer zu gesunden,
Und dieses Leben noch ein köstlich Kleid,
Leuchtend von Perlen ungelebter Stunden –
Ich muß die kommenden bedächtig nützen,
Um die gelebten dauernd zu besitzen.
Doch du wirst jung sein – Immer wieder wird
Zu dir der Frühling von den Hängen steigen.
Und immer wieder wird dein Haar verwirrt
Vom Tanze sein und von dem Rausch der Geigen.
Ich aber will, von keinem Reiz beirrt,
Mich tiefer in die eigne Seele neigen
Und alles Ewige aus unsern Liebesnächten
Wie rote Rosen in mein Lied verflechten...
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Der Herbst verging. Wir hatten beide nicht
Die Kraft, das süße Labsal abzusetzen.
Da ward das Leben uns ein schal Gericht,
Was Freude war, kalt-sinnliches Ergetzen.
Erst nahmen wir die Maske vors Gesicht,
Nicht sehen wollend, bis auch die in Fetzen
Zerfiel. – Wir haben nie aus diesen Stunden
In unsere Liebe wieder heimgefunden