„Wie Gemeinden ihre Infrastruktur in den Sand setzen“
Am 22. April referierte Werner Rügemer, Lehrbeauftragter an der Universität Köln und kritischer Experte für Crossboarder-Leasing und Privatisierung kommunalen und öffentlichen Eigentums, auf Einladung der Liste Baum & Grüne im Purkersdorfer Shakespear-Pub über Spekulation, Privatisierung und Crossboarder-Leasing der öffentlichen Hand. Ob Wiener Linien oder Linz AG, ob Energie AG oder Innsbrucker Kommunalbetriebe, ob ÖBB oder Telekom Austria – der Verkauf kommunalen und öffentlichen Eigentums an US-amerikanische Investoren boomt ja auch in Österreich. In hochkomplizierten Verträgen wurde Infrastruktur in Milliardenhöhe verkauft und wieder zurückgeleast. Jetzt, in der Krise, werden die Risiken virulent und in den Kommunen und staatlichen Versorgungsunternehmen beginnt das große Zittern.
Rügemer zeigte anhand zahlreicher konkreter Fälle von Anfang der 90er-Jahre bis heute, dass die neoliberale Doktrin gescheitert ist und selbst ehemals fundamentale Staatskritiker jetzt den Staat zur Krisenbereinigung aufrufen. Und wieder lassen sich die Staaten europaweit dabei von den großen Banken und Investoren in die Pflicht nehmen.
Rügemer weist auch nach, dass auch klassische Staatsbetriebe wie die Deutsche Bahn als Aktiengesellschaft der Logik der Rendite unterworfen werden. Die eigentliche Aufgabe von Staatsbetrieben, das Gemeinwohl, ist aus den Augen geraten. Während Nebenstrecken abgebaut und Bahnhöfe aufgelassen werden, übt sich die Deutsche Bahn als Europas größte Straßen-Spedition. Auch ökologisch eine Fahrt in die falsche Richtung. Rügemer führte aus, dass die Deutsche Bahn AG vom Staat hoch subventioniert und als Braut für private Interessen geschmückt wurde. Ganz ähnlich sei dies auch bei Telekom und Post.
In der ersten Welle der Privatisierung wurden noch bloße Anteile von kommunalen Versorgungseinrichtungen erworben („strategische Partner“). Es ging schlicht um die Einflussnahme auf die Preisgestaltung und musste in der Folge auch vielfach ein enormer Preisanstieg der Versorgungsleistungen verzeichnet werden. Die „strategischen Partner“ zeigten sich aber unzufrieden, da bei bloßen Teilprivatisierungen Gewinnanteile abgegeben werden mussten.
Unter den modischen Begriffen Liberalisierung und Privatisierung macht es sich immer mehr breit, dass zwar die Anteilsmehrheiten in öffentlicher Hand verbleiben, die Geschäftsführung aber den privaten Partnern übertragen wird, wobei die Verträge sodann vielfach Gewinngarantien für den privaten Partner vorsehen. Damit ist auch die Kommune zum reinen Gewinnprinzip gezwungen. Rügemer führte dies anhand des Beispiels der Berliner Wasserbetriebe vor. Die Folge heute sind die höchsten Wasser- und Abwassergebühren Deutschlands in Berlin sowie ein massiver Stellenabbau, obgleich die Bevölkerungszahl Berlins nicht gerade gesunken ist.
Unter dem Eindruck der krisenhaften Einbrüche heute kommt es in Städten und Gemeinden vielfach zum Versuch einer gewissen Rekommunalisierung der Versorgungseinrichtungen, doch scheitern diese vielfach an vertraglichen Gewinnersatzklauseln. Soweit überhaupt eine Aufkündbarkeit von Verträgen vorgesehen ist, so leiten die privaten „Partner“ in aller Regel aus den Verträgen ab, dass ihnen der durch vorzeitige Auflösung entgehende Gewinn als Schadenersatz auszuzahlen ist. So ist es nicht verwunderlich, dass eine kürzlich durchgeführte Umfrage ergab, dass nur noch 13 % der Deutschen Privatisierung befürworten. Vor etwa 10 Jahren war das Verhältnis noch glatt umgekehrt.
Rügemer plauderte nicht nur aus der deutschen Schule, sondern analysierte auch die Situation in anderen europäischen Ländern. So habe etwa der Thatcherismus Ende der 90er-Jahre in Großbritannien dazu geführt, dass die englische Bahn bis heute als die unpünktlichste der Welt bezeichnet werden könne. Die Wartung der Streckennetze seien zur Schonung der Profite unterlassen worden und hätten nachfolgende Regierungen eigene Schienenreparaturgesellschaften gründen müssen, um die Bahn nicht vollends zusammenbrechen zu lassen.
Mangels staatlichem Geld wurde das Konzept des Public Private Partnership entwickelt: Ein privates Unternehmen baut, die öffentliche Hand mietet. Nach Rügemer sei schon bis jetzt absehbar, dass am Ende in etwa das Doppelte bezahlt worden sein wird.
Auch die von der EU vorgegebenen Maastricht-Kriterien drängen die Staaten zu solchem Handeln. Die Zahlung laufender Mieten statt sofortiger Investition ist zwar wirtschaftlich eine Kreditierung, erscheint aber Maastricht-kompatibel.
Eine interessante Feststellung trifft Rügemer auch damit, dass im Zuge der Verflechtung der öffentlichen Hand mit privaten Investoren und private-partners die Entstehung einer neuen „privaten Bürokratie“ einhergeht. In aller Regel sind in den komplizierten Verträgen absolute Geheimhaltungspflichten für alle Beteiligten, sohin auch für politische Mandatare enthalten. Verträge werden nicht offengelegt und entziehen sich in aller Regel auch der Kontrolle durch Rechnungshöfe und Kontrollämter. Selbst die ordentliche Gerichtsbarkeit wird ausgeschlossen und verpflichten sich die Public-Private-Partner zu Schiedsgerichtsvereinbarungen. Schiedsgerichtsverfahren finden zum Unterscheid von gerichtlichen Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Einen kritischen Blick auf die Purkersdorfer Gegebenheiten lässt die Beobachtung von Rügemer zu, wonach viele deutsche Städte eigene Gebäudemanagement GmbHs gründen. Diese seien zwar 100%-Töchter der Stadt, doch sei in aller Regel die Kontrolle durch die Stadträte ausgeschlossen. Parallelen zur aktuellen Diskussion über die Purkersdorfer WIPUR-GmbH drängen sich auf.
Rügemer mahnt zu einem Umdenken in Richtung „citizen value“ statt „shareholder value“. Nicht der Marktwert soll im öffentlichen Handeln bestimmend sein sondern die Gemeinnützigkeit.